Die Sache mit dem zweiten Kind ist ja, naja, so eine Sache.

Völlig egal, ob Wunschkind oder nicht (wobei an dieser Stelle die Frage gestattet sei, wie viele von den Menschen, die sich auf dieser Welt tummeln, wohl wirklich Wunschkinder gewesen sein mögen): ab dem Tag, an dem Du diesen Schwangerschaftstest mit zwei Strichen drauf in Händen hältst, bist Du in Sorge vor der Zukunft.

Die einen vielleicht, weil sie das Kind gar nicht behalten wollen.

Die anderen, weil sie Angst haben, es nicht behalten zu können.

Ich habe das Glück, nie eine Fehlgeburt erlitten zu haben und aus zwei gesunden Schwangerschaften sind zwei gesunde Kinder hervorgegangen. (Was für ein sagenhaftes Glück!)

Aber wenn ich mich so in meinem Freundeskreis umhöre – und auch: wenn ich bedenke, wie es mir damals erging, als ich so neben der Badewanne kauerte und ungeduldig auf das Testergebnis wartete – dann wird schnell klar: Du wirst nach dem ersten Echtjetzt?-Moment für gewöhnlich alles tun, um dieses positive Testergebnis auch aufrecht zu erhalten.

Ich weiß noch, wie sehr ich mich damals um diesen kleinen, hüpfenden Punkt auf dem verschwommen-grauen Hintergrund (laut meiner Frauenärztin also das Herz) sorgte. Von Termin zu Termin habe ich gehofft, dass er beim nächsten Mal auch noch da ist. Und er war es.

Ich glaube, Angst ist – neben Sodbrennen – eine der lästigsten Nebenwirkungen einer Schwangerschaft.
(Und ab dem zweiten Kind gesellt sich die Frage dazu, ob und wie man ihm gerecht werden könnte.)

Das wird womöglich auch der Grund dafür sein, weswegen es heutzutage schon lange nicht mehr ausreicht, mit dickem Bauch nur auf Alkohol und Zigaretten zu verzichten.

Wenn Du es ernst meinst, dann müssen auch noch Camenbert, laute Konzerte und Sex dran glauben  – und überhaupt alles, was Spaß macht. Ja, ich kenne sogar Fälle, in denen Frauen sich ab der 20.sten Wochen nicht mehr hinters Steuer getraut haben.

 

Als ich mit dem Böhnchen unter’m Herzen einen Mittelaltermarkt besuchte, gab mir die Dame am Einlass keinen Stempel auf die Hand – aus Angst oder Ehrfurcht, die Stempelfarbe könne sich negativ auf das Ungeborene auswirken. Kein Witz.

Und ich wusste nicht so recht, wie ich reagieren sollte, weil: würde ich es abwinken, dann erweckte ich vielleicht den Eindruck, dass es mir egal sei, was es mit meinem Kind anstellt. Ich will ja keine Rabenmutter sein!

Andererseits: sollte ich jetzt wirklich auf einen läppischen Stempel auf dem Handrücken verzichten? Das konnte ich irgendwie auch nicht mit mir vereinbaren.

Nur: wer will schon das Glück herausfordern, nicht?

Tatsächlich bin ich aber zumindest nach meiner zweiten Schwangerschaft weit weniger streng mit mir selbst geworden. Und darüber bin ich sehr froh.

2011 beispielsweise – Minne war damals nur wenige Wochen alt – habe ich bei Besuchen der hiesigen Verwandtschaft regelmäßig einen Nervenzusammenbruch erlitten, wenn seine kleinen Cousins (drei an der Zahl, zu diesem Zeitpunkt alle so zwischen 1 und 5 Jahren alt) ihn „nur für ein Foto auf dem Arm halten“ wollten: die Ärmel voll mit eingetrockneter Rotze und dazu ein Nutellabart.
Da lief es mir als Erstlingsmutter kalt den Rücken runter, während ich mein süßes, sauberes, duftendes Baby im weißen Strickstrampler fest an mich drückte.

Und da half es auch nichts, dass meine Schwägerin (ihres Zeichens überzeugte Dreifachmutter) mir gut zuredete: „Die haben doch vorhin erst alle ihre Hände gewaschen!“ (Finde den Fehler: sie haben sie sich selbst gewaschen. Das bedeutet: sie können nicht sauber sein.)

Ja, ich war wirklich der Überzeugung, dass es niemand richtiger oder besser oder sauberer machen könnte als ich. Mit Argusaugen habe ich jede noch so kleine Beugung des wackelpuddelingten Armes eines Dreijährigen beobachtet, der mein ganzes Hab und Gut auf seinem Schoß balancierte.

Und währenddessen habe ich mich innerlich zu Tode geärgert, dass ich mich überhaupt dazu überreden ließ, mein Baby auch nur für einen kurzen Moment rauszurücken.
Für ein scheiß Foto. Für „nur mal kurz auf dem Arm halten“. Wir sind doch hier nicht im Zoo!

Ich war müde und alle und ich hatte das Gefühl zu verblöden. Aber:

Nein, ich lebte in meiner eigenen, kleinen, sauberen Filterblase und ich wollte weder hinaus, noch wollte ich jemanden hinein lassen.

Und dann diese ganzen ungefragten Ratschläge!
„Schlaf doch, wenn das Baby schläft.“
– Ja, und ich koche, wenn das Baby kocht, räume die Spülmaschine aus, wenn das Baby sie ausräumt und dusche, wenn das Baby duscht. Spitzenidee.

Wie soll das Leben einfach so weitergehen, jetzt, wo man doch jetzt ein Baby zu versorgen hat?
Fünf Jahre später – der kleine Herr Bohnerich war gerade geboren – sah die Welt schon anders aus: Besuch wurde bereits tags darauf herzlich empfangen und um die acht Wochen Wochenbett habe ich dieses Mal auch kein so großes Geschiss gemacht.

Stattdessen musste das bisherige Leben parallel dazu ja weitergehen: Minne wollte zum Fußball, der Minnenmacher alsbald wieder arbeiten und ich lag am See und aß Pommes und beobachtete mein kleines, süßes Baby unter dem großen, schattigen Baum, während drumherum das pralle, laute Leben tobte.

Es war großartig. Und erst da fiel mir auf, wie isoliert ich damals gelebt hatte – leben wollte – als Minne auf die Welt kam. Aber jetzt war ich dabei, ich bekam alles mit, ich spürte den leisen Wind um meine Nase und mein Baby auch und es fühlte sich toll an. Ich hatte schlicht und ergreifend keine Zeit mehr für ein Leben in der Filterblase.
Zum Beispiel: befand sich Minne 2011 im Mittagsschlaf, so habe ich grundsätzlich die Klingel deaktiviert, damit der Postbote ihn nicht aus Versehen wecken konnte und ich bin auf Zehenspitzen durch die Bude getigert; ein Ohr immer an der Tür, um ja keinen Laut zu überhören. Telefonieren wäre zu laut gewesen, also habe ich vor dem Fernseher gesessen – ganz leise – und mich berieseln lassen und währenddessen die Bodys gebügelt. Klar, so kann man einen Tag auch ausfüllen – aber das bedeutet nicht zwingend, dass er auch erfüllt ist.

Befindet sich die Bohne 2017 im Mittagsschlaf, dann meistens inmitten des Trubels, bei hellem Tageslicht und während Minne nebendran energisch Star Wars spielt oder der Minnenmacher die Spülmaschine ausräumt oder ich mit den Nachbarn quatsche. Irgendwie geht’s immer.

Habe ich Baby Minne 2011 sogar während ich duschte in meiner Sichtweite platziert, um ihn bei der kleinsten Mimikregung tropfnass hochnehmen zu können, murmle ich jetzt bei Baby Bohne sowas wie, nee, Du musst kurz mal warten, meine Haarkur wirkt gerade ein, jetzt ist Mama dran.
Wisst Ihr, ich geißle mich nicht mehr selbst. Ich habe keine Zeit für sowas und auch keine Lust dazu. Mein Tag hat nur 17 Stunden und wenn ich darin nicht untergehen will, muss ich eine gewisse Portion Egoismus walten lassen. Wenn ich joggen gehen will, muss die Bohne eben mitkommen. Und Minne auch. Und wenn wir am Tag zwei Mal zum Rewe spazieren müssen, weil wir beim ersten Mal etwas vergessen haben, dann geht das auch nicht anders. Und mein Yoga ist mir wichtig; währenddessen kann Minne ein Hörspiel hören und die Bohne liegt dabei.

Ich glaube, ich bin auf einem guten Weg, mein Leben nicht mehr nur ausschließlich um meine Kinder herum zu bauen – sondern sie in meines mit einzubauen.

Tatsächlich habe ich dieses Gerede von wegen, das zweite Kind läuft einfach so mit, immer abgetan als dummes Zeugs. Insgeheim hatte ich wahrscheinlich aber auch ein bisschen Angst davor, nicht zweien gleichzeitig gerecht werden zu können – wohl aber, es zu wollen. Und es fiel mir ja bei einem schon schwer.
Aber es funkioniert und das zweite läuft einfach so mit, meistens jedenfalls, und es ist wunderbar.
Ich bin wesentlich entspannter als bei Minne damals – und auch: als mit Minne allein – und ich weiß, so schnell kann ich nichts kaputt machen.

Jedenfalls: wenn ich heute – mit fünf Jahren Abstand und mittlerweile zwei Kindern – eine wirkliche Erkenntnis gewonnen habe, dann die, dass zwei Kinder nicht zwingend anstrengender sind als eines.

Dass man deswegen auch nicht zwingend noch weniger Zeit für sich hat. Dass einem die Arbeit nicht über den Kopf wächst.
Sondern dass es zu einem Großteil an der eigenen Einstellung liegt, inwieweit man sich damit stressen lässt.

 

Die Klamotten der Jungs auf den Fotos – Lederjacke, Hemden, Jeans und Schuhe – habe ich bei tausendkind.de gefunden. Meine Jacke ist von Uniqlo, die Schuhe von Kavat.