#manchmalsteheichda-undliebeeinfach ist ein bekannter, ich würde sogar fast behaupten: inflationär verwendeter Hashtag bei Instagram.

#manchmalsteheichauchnurda-undweißnichtmehrweiter ist nicht ganz so bekannt – wenn es ihn überhaupt gibt – sollte aber eigentlich mindestens genau so oft dort auftauchen.

Ich würde mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen und sagen, diese Anflüge von Überforderung kamen erst mit dem zweiten Kind. Das stimmt nicht. Nicht bei mir. Die Bohne ist glücklicherweise das wahrscheinlich entspannteste Baby von der ganzen Welt, meistens zumindest, und weil ich nur dieses eine zweite Kind habe, habe ich natürlich auch nur bedingt Vergleichsmöglichkeiten.

Mir ist auch durchaus bewusst, dass uns noch einige unentspannte Zahnungsnächte bevorstehen, und die Trotzphase beginnt ja auch erst in einigen Monaten. Aber bislang ist die Bohne kein unendlich großer Stressfaktor; sie schläft durch, hatte keine Koliken und wirkt fast immer ausgeglichen und zufrieden.

Trotzdem macht auch das liebste Baby der Welt Arbeit: der Essplatz sieht nach fünf Hirsekringeln aus wie Sau, die Lätzchen müssen in die Wäsche, die Klamotten auch, das Kind selbst am besten einmal in die Badewanne. Der Windeleimer geht nicht mehr zu, und wenn wir gerade dabei sind, dann müsste der Badezimmermülleimer auch mal wieder ausgeleert werden. Wartet mal: warum liegen denn da jetzt Playmobilfiguren neben der Toilette?

Es ist auch nicht unbedingt immer Minne, der mich zur Verzweiflung bringt. Wenn er vom Kindergarten nach Hause kommt, dann hat er zwar immer viel zu erzählen – auch vieles, das mich nicht interessiert – und stellt unentwegt Fragen oder Forderungen („Kannst Du mir noch was zu trinken machen? Ich will aber Saft und kein Wasser. Nein, aus dem blauen Becher, nicht aus dem grünen!“), aber alles in allem wird es entspannter, je älter er wird. Und wenn ich ihm kein Marmeladenbrot machen kann, dann schmiert es sich eben allein. (Was ich allerdings später mit einem Blick auf die Küchenzeile bereuen werde.)

Im Moment bin ich ja noch in Elternzeit, und ich wüsste auch nicht, wie ich es anstellen sollte, säße ich neun Stunden des Tages zusätzlich davon im Büro. Meine Zeit ist ausgefüllt, sogar mehr als das. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal die Gelegenheit hatte, ein Buch in die Hand zu nehmen oder mir in aller Ruhe die Fußnägel zu lackieren. Allein bei dem Gedanken daran säuselt mir von links das schlechte Gewissen vorwurfsvoll ins Ohr: „Nutzt das jemandem was? Der Familie, den Kindern? Falls nicht, dann weißt Du aber schon, dass Du dafür eigentlich keine Zeit hast, oder?“

Ab und an gönne ich mir den Luxus und steige abends für zwanzig Minuten in das lauwarme Käpt’n Sharky-Badewasser meiner Kinder, wenn sie endlich im Bett liegen und schlafen und niemand mehr etwas von mir will.

Aber auch das rächt sich, denn in dieser Zeit bin ich ja nicht produktiv: die nasse Wäsche, die saubere Spülmaschine, die verwelkten Blumen in der Vase – alles bleibt liegen, und das, obwohl ich auch dem Minnenmacher nicht vorwerfen kann, völlig untätig zu sein im Haushalt.

Und dann lächeln mich am nächsten Morgen bei Tageslicht noch die Fingertapser auf den Küchenfronten an und die Wollmäuse, die sich gefühlt innerhalb von zwei Tagen nach der letzten Wischaktion schon wieder in der Ecke zusammengefunden haben. Das muss ich noch machen, unbedingt, denn heute Nachmittag kriegen wir Besuch von den Schwiegereltern. Ich schließe die Augen und seufze. Irgendwie hab ich mich ja dran gewöhnt.

Ich erinnere noch, dass ich nicht wusste, wie ich all dem Herr werden sollte, kurz bevor ich aus der Elternzeit mit Minne wieder ins Berufsleben eingestiegen bin. Das war 2012. Minne war damals ein Jahr alt, und meine Tage daheim ähnlich ausgelastet wie heute. Nur, dass ich das bisschen Zeit, das ich damals mehr hatte, für den Verkauf von zu klein gewordenen Kinderklamotten auf eBay oder auf liebevoll drapierte Brotdosen verwenden konnte. Aber wir reden vielleicht von einer Stunde am Tag, netto, und ich schwöre, ich habe sie nicht mir selbst gewidmet!

„Wie soll ich das anstellen, wenn ich bis abends um sieben – und selbst, wenn nur bis nachmittags um vier – im Büro sitze?“, habe ich mich gefragt. Das geht doch gar nicht.

 

Und dann wird das Kind vielleicht noch krank oder – Gott bewahre! – Du selbst und auf der Arbeit bleibt auch noch was liegen. Zusätzlich zu dem, was Du schon zu Hause nicht schaffst. Deine Kollegen werden mit den Augen rollen und Dein Herz wird sich zusammenziehen und die To-Do-Liste wird immer länger werden. Schaff‘ ich nicht, habe ich mir gedacht. Niemals. Wie denn auch?

Aber es ging. Irgendwie ging es.

Und schon eine Woche nach meinem Wiedereinstieg drehte ich meine Runden im Hamsterrad, einem Automatismus folgend, und jeder Tag sah gleich aus: um sechs aufstehen, duschen gehen und ein bisschen Mascara auftragen, in der Hoffnung, dass Minne noch schläft, bis ich wenigstens auf dem Klo war.

Frühstück machen, Teewasser aufsetzen, Klamotten aus dem Schrank suchen, Klamotten für das Kind aus dem Schrank suchen. Warum sind denn die Socken jetzt plötzlich zu klein? Haben wir keine anderen? Während Minne sein Müsli auslöffelte, verschwand der Minnenmacher schnell ins Bad. Keine Zeit für die Tageszeitung, geschweige denn für einen frisch gepressten O-Saft oder gar ein gekochtes Ei, wo es doch in der Werbung immer so schön entspannt aussieht, wenn sich die gut gelaunten Familien morgens am wohlgedeckten Tisch einfinden und ihre frischen Bäckerbrötchen mit Rama beschmieren. Komisch, habe ich gedacht, bei uns ist das nicht so.

Dann: auf die Uhr schauen, dem Minnenmacher das Kind in die Hand drücken, die halbe Tasse Tee stehen lassen und um Schlag acht waren wir alle aus dem Haus.

Wenn ich mit der Arbeit fertig war konnte ich kurz vor Betreuungsschluss meinen Minne abholen – meistens übermüdet oder völlig aufgedreht, je nach Länge des Mittagsschlafs – und dann wieder: Kind ausziehen, baden, Schlafanzug anziehen. Mein Hals schnürt sich zu. Abendessen machen, Geschichte vorlesen, sich nach dem Tag erkundigen, das Kind ins Bett bringen, noch ein Telefonat führen vielleicht – und die Augen im Vorbeigehen am vollen Wäscheständer möglichst unbemerkt zusammenkneifen. Ich stolpere über zwei Amazon-Pakete, eines davon eine Retoure, die ich schon längst bei der Post abgegeben haben wollte. SMS an den Minnenmacher: „Wir brauchen Brot, kannste mitbringen?“ SMS 10 Minuten später: „… und Butter.“ – „Bin schon wieder draußen, dann morgen ohne Butter.“, kommt zurück.

 

Die Tage heute sehen nicht wirklich anders aus, nur mit etwas mehr Zeit am Morgen, weil zumindest ich aktuell nicht unbedingt pünktlich und regelmäßig das Haus verlassen muss. Dafür ist die Wäsche mehr geworden; Minne kann seine Klamotten an einem normalen Kindergartentag mit viel frischer Luft nicht zwei Mal hintereinander anziehen, und Badetücher und -vorleger sind irgendwie auch ständig schmutzig. Und der Müll wird auch mehr: Windeln, Q-Tips, Pizzakartons. Ständig trete ich auf ein Legoteil oder ein Matchboxauto oder irgendwer hat die Türklinke im Bad mit neonfarbenen Schnürsenkeln umwickelt, damit sich Feuerwehrmann Sam daran abseilen kann.
Und an der Garderobe hinter der Eingangstür bilden die in Schichten übereinander geworfenen Winterjacken, Übergangsjacken, Jeansjacken, Herbstmäntel und Fleeceoveralls einen dicken Panzer zwischen mir und der Welt da draußen.

Sobald alle das Haus verlassen haben und die Bohne in den ersten Vormittagsschlaf fällt, klappe ich meinen Laptop auf und beantworte Emails, trinke einen Schluck von meinem schon kalt gewordenen Tee, räume liegengebliebene Socken weg, formuliere Postings für Instagram, lese ein paar Direktnachrichten, die bei Facebook reingekommen sind, gehe meinen Fotoorder durch auf der Suche nach noch nicht veröffentlichtem Bildmaterial, erinnere mich daran, dass die zusammengelegte Wäsche auf dem Esstisch schon seit gestern Abend auf den Wiedereinzug in die Schränke wartet. Dann klingelt das Telefon oder es klingelt an der Tür, meine Mama schickt eine SMS und fragt, ob ich ihr noch irgendwas bei Amazon bestellen kann, die WhatsApp-Gruppe vom Kindergarten schreibt, dass sie noch Hilfe beim Flohmarktverkauf brauchen. Die Bohne ruft. Hatte meine Freundin nicht Geburtstag gestern? Ach Mist. Ich klappe den Laptop zu. Sechs Mails stehen noch aus, muss ich heute Abend machen. Oder morgen.

Und dann, plötzlich, stehe ich da und weiß nicht mehr weiter.

Natürlich ist es nicht der Bambus, den man noch gießen muss. Auch nicht Minne, der jetzt doch lieber den grünen anstelle des blauen Bechers haben will. Es sind nicht die offenen Mails und es ist auch nicht das Einkaufengehen oder das Kochen oder das Putzen oder das Sozialleben als solches. Es ist nicht der Postbote, für den ich noch ein Paket für die Nachbarn unterschreiben muss. Es ist nicht der Wäscheberg oder die Toilettenbrille oder der vergessene Geburtstag. Es sind nicht die 24 Kommentare, die noch auf Antwort warten. Auch nicht mein Papa, der mich daran erinnert, dass die Bohne noch einen Reisepass braucht. Es ist nicht die Einladung zum Sehtest, die seit 5 Wochen auf der Küchenzeile liegt. Oder die abgelaufene Überweisung zum Hautarzt. Es ist die Kombination aus alledem.

Weil man sich ja nach Leibeskräften bemüht, oder? Man bemüht sich alles sauber zu halten, alles möglichst professionell abzuwickeln, alles nicht nur so hinzurotzen, sondern mit Liebe zu erledigen: das Essen, das Bett, die Kinder, die Beziehung, das ganze Leben. Man liegt ja nicht auf der faulen Haut.

Und trotzdem reicht es nicht.

 

  • Man will eine verständnisvolle Mutter sein, Zeit für die Kinder haben und ihnen geduldig die Welt erklären. Aber die Nerven liegen meistens schon nach zwanzig Minuten blank: „Jetzt komm endlich! Kommst Du jetzt bitte? Wir müssen!“
  • Man will sich gesund und abwechslungsreich ernähren und ein Zuhause zum Wohlfühlen haben. Aber man muss nahezu minütlich dafür sorgen, dass dieser Zustand auch beibehalten wird, und Frosta und Miracoli haben mir schon so manches Abendessen gerettet.
  • Man will kein dauernörgelnder Hausdrache sein, sondern dem Mann, der Nachbarin, dem Postboten ein unterhaltsamer, intelligenter und lustiger Gesprächspartner. Aber das Hirn denkt in Wahrheit die ganze Zeit nur an neuen Badreiniger, neue Windeln, und dass drei Tupperboxdeckel aus dem Schrank fehlen.
  • Man will gut aussehen oder sich zumindest wohl fühlen in seiner Haut. Aber bei jeder Joggingrunde läuft das schlechte Gewissen mit, denn „Zeit für Dich“ bedeutet: keine Zeit für die anderen.
  • Man will Freundschaften pflegen und aufrechterhalten. Und hofft trotzdem, dass einem verziehen wird, wenn man nicht mal an besonders wichtigen Tagen Zeit für einen kurzen Gruß gefunden hat.
  • Man will die Welt sehen, man will Neues erleben, man will finanziell natürlich auch auf eigenen Beinen stehen, unabhängig sein. Und war da nicht auch noch irgendwas mit Freiheit?

 

Gleichzeitig muss man aber auch noch den neuen Autokindersitz einbauen, die Krümel vom Teppich saugen, neue Buntstifte bestellen, den Vorratsschrank ausmisten, den Balkon wieder begehbar machen, die Betten abziehen, die Fläschchen ausspülen…

 

Was ich damit sagen will, ist: Plattformen wie Instagram oder Facebook zeigen immer nur einen Ausschnitt aus dem Leben eines anderen, immer nur einen kleinen Teil, meistens einen guten.
Sie spiegeln aber niemals das gesamte Leben wider. Denn jeder zeigt das, was er gerne zeigen will: weiße Blumen neben dem Sofa, der einzige Stuhl im Haus auf dem keine Klamotten liegen, eine liebevoll drapierte Brotdose – aber nicht die ausgetrockneten Maultaschen, die im Kühlschrank direkt unten drunter liegen, nicht die Augenringe unter den morgens husch-husch getuschten Wimpern, nicht die dicke Staubschicht auf den Küchenschränken, nicht das Chaos auf dem Kinderzimmerboden, nicht den Streit unter Geschwistern, den Tobsuchtsanfall im Supermarkt, die lästigen Diskussionen rund um’s Zähneputzen, nicht den krummen T-Shirt-Stapel im Schrank, den vollen Küchenmüll, die Spüle voller Tassen, die Kratzer im Parkett, die leere Obstschale, die Socken mit Löchern. Und irgendwo zwischendrin stehe ich.

 

Natürlich: #manchmalsteheichda-undliebeeinfach. Aber: #manchmalsteheichauchnurda-undweißnichtmehrweiter.