Wir versuchen, Minne Werte und Regeln zu vermitteln, die für ein Zusammenleben in der Gesellschaft wichtig sind. Gleichzeitig versuchen wir aber auch, ihn davor zu bewahren, frühzeitig in ein Anpasserleben hineinzugleiten.

Deswegen lassen wir ihm vergleichsweise viele Freiheiten, auch, wenn die nicht unbedingt immer mit dem gesellschaftlichen Mainstream in Einklang zu bringen sind.

Eines von vielen Beispielen, um die es hier und heute gehen soll, sind seine Haare.

Immer mal wieder erreichen mich dazu Mails mit der Frage, wie Minne mit seinen langen Haaren im Alltag zurechtkommt. Welches Shampoo wir benutzen, wie wir die Haare in der undankbaren Übergangszeit im Zaun gehalten haben, aber vor allem:
wie er damit wahrgenommen wird und wie wir mit lauter und leiser Kritik umgehen. Und natürlich gibt es auch nicht wenige, die sein optisches Erscheinungsbild ganz und gar nicht gutheißen können oder wollen.

Es wäre gelogen, würde ich sagen, es war immer einfach. Aber ich habe das Gefühl, dass es leichter wird, je älter er ist.

Denn zum einen merkt man seiner Art inzwischen durchaus an, dass es sich bei ihm eigentlich nicht um ein klassisches Mädchen handeln kann.

Zum andern ist er mittlerweile auch alt genug, um Partei für sich selbst zu ergreifen.

Das bedeutet: Niemand mehr, der infrage stellen könnte, ob ihm das „überhaupt selbst gefällt, wie er rumlaufen muss“.

Und niemand mehr, der mir – vor allem, als Minne noch kleiner war – andichtet, ich hätte mir „scheinbar lieber eine Tochter gewünscht“. (Was ich aufgrund einer Mischung aus Erläuterungsfaulheit und gefühlt mangelnder Geisteskapazität meines Gegenübers immer gern mit einem eifrigem Nicken quittierte.)

„Wie heißt denn die Kleine?“ – „Bernhard.“


Freilich gab und gibt es auch Betonköpfe. 
Aber am häufigsten reagieren die Menschen auf eine Richtigstellung, indem sie sich erschrocken die Hände vor den Mund halten und eine Entschuldigung nuscheln. Ich glaube, den allermeisten ist es unangenehm, dabei ertappt zu werden, an einem schon lange nicht mehr zeitgemäßem Klischee festzuhängen.

Erst letzte Woche tat sich da eine Situation im Schwimmbad auf, als eine alleinstehende Dame, die mehrere Stunden lang quasi direkt neben uns saß, irgendwann lachend und mit Blick auf Minne anmerkte: „Also, die würde wirklich einen guten Jungen abgeben, oder?“ Und Minne lachte zurück und antworte: „Bin ich auch. Hab‘ doch sogar ne Badehose an. Sehen Sie das nicht?“

„Ich hab doch sogar ne Badehose an. Sehen Sie das nicht?“

Nur: Wer könnte es ihr verübeln, wo doch Jungs mit langen Haaren nach wie vor eher selten das Straßenbild prägen?

Die Leute meinen eher, eine Ronja Räubertochter vor sich zu haben, als zu glauben, es könne sich wirklich um einen Jungen handeln. Und klingt Max oder Linus bei genauem Hinhören nicht sowieso auch erschreckend weiblich?

Noch strohblond und wesentlich kürzer: Minne um seinen zweiten Geburtstag herum.


Als zu Minnes zweitem Geburtstag schon ein paar schulterlange Flusen auf seinem Kopf wehten, da reichte noch nicht mal eine gänzlich in dunkelblau gehaltene Schneemontur aus, um zu verhindern, dass nicht irgendwer sagte: „Aye, lass‘ doch mal das Mädchen vor.“ oder: „Das ist ja eine süße Maus, wie heißt denn die Kleine?“

Auch im Kindergarten war es anfänglich ein Kampf: Minne hatte mehr oder weniger immer eine Sonderrolle inne, er war eben nach jeder Vorstellungsrunde sogleich „der Junge mit den langen Haaren“.

Der einzige.

Für die ErzieherInnen war das weit weniger ein Problem als für manche Kinder:
Bei einigen dauerte es seine Zeit und sicherlich war es oftmals auch ein stückweit abhängig vom Elternhaus, ob es ihnen überhaupt gelang, sich mit einem langhaarigen Jungen abzufinden. Und natürlich gab es auch welche, die im Streit ein gefundenes Fressen darin sahen, ihn wegen seiner Haarlänge als Mädchen zu titulieren. Naheliegend.

Ganz in blau, doch die Haare verraten es: Es muss sich um ein Mädchen handeln. Unser Sohn mit dreieinhalb.


Kinder können grausame Arschlöcher sein, aber das sind sie nicht, nur weil ein Junge lange Haare hat. Ich meine: Gibt es keine langen Haare, an denen man sich hochziehen kann, so hat jeder Mensch ja auch immer noch eine eigene Nase oder ein paar Turnschuhe ohne Minions drauf oder überhaupt einen Namen, über den man sich im Zweifel lustig machen kann. 
Und so war das weder für ihn, noch für uns ein Grund, irgend etwas an seiner optischen Erscheinung zu ändern. 

Inzwischen sind viele solcher Situationen in meiner Erinnerung verblasst und es kommen nur noch wenig neue dazu. Aber vielleicht überhört man sowas irgendwann auch einfach, ich weiß es nicht genau.

Ein Junge mit langen Haaren und schwarzem Nagellack. Und er ist auch noch Vegetarier. Himmel hilf!

Ich meine: Klar nervt’s, immer und immer wieder die gleichen Fragen zu beantworten.

So, wie es sehr große Menschen nervt, ständig nach ihrer Schuhgröße gefragt zu werden. So, wie es Zwillingseltern nervt, wenn sie die Leute tuscheln hören: „Oh Gott, die Armen. Zum Glück ist uns das erspart geblieben…“

Also was tut man, um sein Kind mit einem geraden Rücken in die Welt hinaus zu lassen, damit es auf solche und ähnliche Situationen selbstsicher, lustig und sympathisch reagieren kann, anstatt verunsichert und traurig in der Ecke zu hängen?

Ich denke, man unterstützt es in erster Linie bei der Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins. Keines, das jemanden unsympathisch oder überheblich wirken lässt, sondern eines, das im positiven Sinne stärkt und – im wahrsten Sinne des Wortes – sich seiner Selbst bewusst auftreten lässt. Das Kultivieren eines wachen und eigenständigen Geistes, so bescheuert das auch klingen mag, ist der Schlüssel dazu. Denn das hilft bei der Entwicklung und Festigung von eigenen Ansichten, Haltungen und Werten. Und genau da versuchen wir, Minne – soweit wir können – zu unterstützen. Durch Zuspruch, durch Zuhören und durch Zuneigung. 

Denn: Wann ist die beste Zeit, ein unangepasstes Leben zu führen, ohne von der angepassten Mainstreamgesellschaft dafür verurteilt zu werden – wenn nicht die Kindheit?

Und wann ist die beste Zeit für lange Haare, für bunte Nägel, für Experimente? Fürs Querdenken, fürs Ausprobieren, fürs Scheitern – wenn nicht jetzt?

Für mich ganz offensichtlich sogar von hinten ein Junge: Minne auf dem Weg zum Kindergarten.


Glücklicherweise gibt es auch immer ein paar Eltern, die das genau so sehen. Und so gibt es neben einigen Zweiflern und Kritikern auch viele schöne Momente:

Anfang des Jahres zum Beispiel hatten wir eine zuckersüße und wie ich glaube: auch noch lange nachwirkende Begegnung.

Wir waren am späten Nachmittag zu einer idyllisch illuminierten Schlittschuhbahn unter freiem Himmel aufgebrochen und am Kassenhäuschen für Eintritt und Verleih ergab sich dann folgende Situation:

Hinter der Plexiglasscheibe sitzt ein Mann um die 60. Dicke Wollmütze, Fluppe im Mundwinkel, auf den ersten Blick ein bisschen grimmig und verlebt.

„Hallo! Einmal Eintritt für ihn bitte, und einmal Eintritt für mich. Achso, und Schlittschuhe bräuchten wir auch noch.“, flöte ich höflich und ziehe währenddessen einen zerknitterten Zwanzigeuroschein aus meiner Manteltasche.

Der Mann erhebt sich von seinem Stuhl und deutet mit einem schmallippigen Lächeln, das ich nicht so recht zu deuten weiß, auf den hinter mir wartenden Minne: „Für IHN?“ Er klingt ungläubig. „Ja, ihn.“, gebe ich trocken zurück und bin bemüht, eine ihm hoffentlich unangenehme Selbstverständlichkeit in meine Stimme zu legen.

Der Mann setzt sich wieder, schaut kurz auf sein Wechselgeld, erhebt sich erneut und schaut noch einmal zu Minne. Dann nimmt er plötzlich seine Mütze ab:

Lange, graue Strähnen wellen sich über das Brustlogo seiner Winterjacke, gefühlt werden sie im Bruchteil von Sekunden immer länger. Er fährt sich triumphierend durch den Ansatz und lacht. „Für den Herrn mit den langen Haaren ist der Eintritt selbstverständlich frei“, sagt er verschwörerisch, „wir Langhaarigen müssen schließlich zusammenhalten, stimmt’s?“ Minne grinst und nickt.

„Danke“, antwortet er ein bisschen zu leise – aber kaum stehen wir allein auf der Eisbahn, schwärmt er mir wieder und wieder davon vor: „Hast Du gesehen, Mama? Es gibt nicht viele von uns, aber es gibt sie!“

Als wir etwa eine Stunde später gehen und erneut am Kassenhäuschen vorbeikommen, ruft der Mann hinter der Scheibe: „Hast Du toll gemacht heute! Und bloß nicht abschneiden lassen, ja? Denk dran: Wir Langhaarigen…“ – „… müssen zusammenhalten!“, ergänzt Minne und hüpft freudig an meiner Hand zum Auto.


Unnötig zu erwähnen, dass alle unsere Herzen an diesem Abend wärmer strahlten als die Tasse Kinderpunsch in unseren Händen.

Hat die Lebensfreude mit Löffeln gefressen: Minne auf dem Weg zur Sechs.

Auf Dirtbikefestivals, auf Rockkonzerten, auf der Halfpipe, im Museum, in der Fußgängerzone: Wann immer uns ein langhaariger Typ entgegenkommt und es die Situation zulässt, weist uns Minne darauf hin: „Ey, guckt mal: Der da hat auch lange Haare. Der, der da grade auf dem Skateboard die Pipe runter is‘. Habt Ihr gesehen?“

Natürlich spiegeln solche Begegnungen nicht das Bild wider, das Minne in seinem eigentlichen sozialen Umfeld begegnet. Aber es bestätigt regelmäßig, dass im Zweifel nicht er derjenige ist, der ein Problem hat, sondern – wen überhaupt – die Menschen um ihn herum zusehen müssen, wie sie damit klar kamen.

Ja, es scheint so, als habe er selbst den Spieß einfach rumgedreht.

Statt Topfschnitt.

Letztlich haben wir alle das Gefühl, dass man es durchaus als Privileg ansehen darf, auch in seinem Alter schon ein bisschen aus der Reihe tanzen zu dürfen und damit vielleicht sogar ein paar andere Kinder (und Eltern?) zu inspirieren.
Und wenn nicht das, dann trainieren wir damit vielleicht zumindest ihre Toleranz…

Wenn wir an einem heißen Sommertag mit viel Sand und Seewasser zwischendurch die Haare kämmen und er dabei schimpft, und wenn ich dann frage: „Wollen wir sie abschneiden?“, antwortet er jedes Mal entrüstet mit: „Auf gar keinen Fall!“

Er trägt seine Haare lang, weil sie Teil seiner Identität geworden sind und nicht, weil wir es cool finden. (Gleichwohl wir es trotzdem cool finden und gutheißen, dass er ist, wie er ist, egal, wie er ist, einfach, na, weil es sich eben um unser Kind handelt, Ihr wisst schon.)

„Warte mal ab, bis er in die Schule kommt“, höre ich dann ab und an noch eine leise Gegenwehr. Aber das habe ich zu Beginn des Kindergartens auch schon gehört und wenn ich ehrlich bin: Ich glaube nicht, dass sich damit viel ändern wird. Nicht für ihn zumindest – aber vielleicht für ein paar andere Jungs?

Minne ist happy mit sich selbst und ab und an meine ich sogar, sowas wie ein Funkeln in seinen Augen zu erkennen, wenn ihn irgendwer doch mal wieder fälschlicherweise für ein Mädchen hält. Manchmal erlaubt es seine Tagesform, gar nicht abwarten zu können, um korrigierend einzugreifen: „Ich bin ein Junge. Ja, echt. Is‘ wirklich so! Und das hier ist mein kleiner Bruder. Doch, wir sind beide Jungs! Haha, ja!“

Aber egal, ob lang oder kurz, dick oder dünn, groß oder klein, laut oder leise: Ihr alle habt ein Original zuhause und keine Kopie. Und wir auch.

Zwei Originale.

 

Die Praxistipps

Die Anfangszeit – normalerweise mit dem wenig zufriedenstellendem Status Vokuhila verbunden – überbrückten wir seinerzeit mit klitzekleinen Haarklammern aus der Drogerie. Schaut bei dm oder Rossmann nach, dort gibt es neben den klassischen Glitzer- und Prinzessinnenenspängchen auch (matt)schwarze, dunkelbraune oder graue Modelle. Die sind zwar keine Garantie dafür, nicht doch für ein Mädchen gehalten zu werden, aber sie unterfüttern dieses Bild aufgrund der Farbgebung zumindest nicht zusätzlich.

In ganz jungen Jahren, so zumindest meine Erfahrung, wird den Kids auch durchaus eine flotte Palme auf dem Kopf verziehen. Klitzekleine Haargummis für wenig oder dünnes Haar findet Ihr (in schwarz oder braun) ebenfalls in allen gängigen Drogeriemärkten.

Wenn alles nichts hilft oder es besonders festlich aussehen soll, spricht meines Erachtens nach auch nichts dagegen, den Jungs ab und an auch mal etwas Haarspray oder Pomade in die Haare zu geben und sie dann – wie einstmals Elvis, Gott hab ihn selig – nach hinten zu kämmen. Besonders stylische Pomadendöschen, die nach Kaugummi riechen, findet Ihr hier. (Das ist die, die wir daheim haben.)

Minnes Haare machen tagsüber einiges mit.

Jetzt bin ich Euch noch eine Antwort auf die Shampoofrage schuldig, stimmt’s? Aber die wird unspektakulär, denn auch da bedienen wir uns meist an dem, was uns so über den Weg läuft, und sind alles andere als markentreu dabei:
Die Bohne haben wir das erste Jahr über fast ausschließlich mit diesem hier eingeseift, außerdem mit Produkten von dasboep, weil vegan und ergiebig und sexy vepackt. (Findet Ihr auch bei dm.)

Für Minne greife ich am liebsten zu irgendwas mit Kokosduft oder Arganöl. Die Flaschen von Pierre’s Apothecary sind meistens riesig und sehen schön unisex aus.
Mit etwas Glück findet man sie manchmal bei TK Maxx.

Die Finger lassen wir seit jeher von rosa Prinzessinnenkram diverser Drogerie-Eigenmarken. Egal ob „2-in-1 Shampoo“ oder „Leicht-Kämm-Spray“, denn zum einen sind die Haare danach trotzdem kaum durchzukämmen, zum anderen spricht Minne auch einfach die Verpackung nicht an.

Unerlässlich, um Minnes Haare nach dem Waschen ohne großes Trara durchzukämmen, ist Haaröl, das man – egal ob nass oder trocken – in die Spitzen gibt. Unser liebstes findet Ihr bei uns im Shöp. Es riecht gut, ist ergiebig und as simple as it sounds: es hilft.

Silikonfreie Alternativen findet Ihr aber auch für mehr oder weniger Kohle in der Drogerie. Abends, wenn keiner mehr hinsieht, flechten wir einen Zopf. Das macht das Durchkämmen am Morgen noch einfacher.

Wenn Euer Sohn dickes Haar hat, das schnell verheddert, kann man es im Sommer auch wunderbar mit einer Effilierschere ausdünnen. So habe ich das bei Minne immer gemacht, beziehungsweise tue es noch immer. Damit büßt man nichts von der eigentlichen Länge ein, aber es ist in der Tat wesentlich einfacher zu bändigen. Geschnitten wird seit jeher selbst und dann auch immer „nur die Spitzen, Mama!“ 

So. Und jetzt der Geheimtipp, der eigentlich gar keiner mehr ist: Alles steht und fällt nämlich mit der richtigen Haarbürste. Von TangleTeezer habt Ihr sicher schon oft gehört, von den unzähligen Plagiaten ebenfalls. Greift aber auf keinen Fall zu der ohne Griff!

Und zwar deswegen nicht, weil deren Borsten wesentlich kürzer sind und sich für längeres Haar entsprechend schlecht eignen. Man bleibt damit immer irgendwie „an der Oberfläche“ und ist nahezu Stunden beschäftigt, die Haare zu entwirren.

Das Modell mit Griff (gibts in schwarz und pink) hat dieses Problem nicht, da die Borsten länger sind und ich kann es Euch wirklich, wirklich nur ans Herz legen. Findet Ihr bei Amazon, hier bei uns im Shöp und in der Drogerie, aber da für den doppelten Preis.

Okay.

Hab ich noch irgendwas vergessen?

Habt Ihr Meinungen, Anekdoten oder Tipps zu meinen Zeilen?
Seht Ihr das alles vielleicht völlig anders?

Ich freu‘ mich, wenn Ihr Euren Senf dazugebt.
Danke für Eure Zeit. Und schön, dass Ihr da seid. <3