Okay. Für alle die, die gerade von Instagram hier rübergeschwappt sind: die Frage lautete: „Wie kam die Kerbe ins Parkett?“

Also passt auf, Ausgangssituation war folgende: eine unserer heißgeliebten Teekisten hat extrem scharfe Kanten, an denen wir uns im Vorbeigehen schon diverse Male Oberschenkel oder Unterarme aufkratzten.

Der Tag heute verlief ruhig und ich hatte etwas Zeit zum Wuseln. Also fasste ich einen Plan, nämlich: Kantenschutz aus Weichplastik anbringen und den scharfen Ecken aus Sperrholz den Kampf ansagen. Weil die geklebte Version des Eckschutzes nicht hielt, machte ich kurzen Prozess und benutzte dafür Hammer und Nägel. Und als Minne das sah, wollte er selbstverständlich auch mal Bob der Baumeister spielen.

Im Kinderzimmer der Jungs – ich weiß nicht, ob Ihr das wisst – verläuft ein langer, dicker Holzbalken direkt über der Tür und zieht sich in der Höhe abfallend die ganze Wand entlang bis hin zu den Fenstern beziehungsweise Minnes Schreibtisch. Dort ist der Balken so niedrig, dass man darin wunderbar ein paar Kurzeisen versenken kann – für selbstgebastelte Kunstwerke, beispielsweise.

Minne tappst also los, ausgestattet mit den Waffen eines Heimhandwerkers und klopft, was das Zeug hält.

Die ganze Zeit über höre ich dieses dumpfe, regelmäßige Pochen und bin schon fast geneigt, reinzugehen und „Jetzt ist aber Schluss!“ zu rufen – da tut es plötzlich einen MORDS Schlag. Dann: Stille. Beängstigende Stille. Drei Sekunden, vier Sekunden, fünf Sekunden.

Ich laufe ins Zimmer: „Minne? Minne? Ist alles okay?“

Mein Blick fällt auf eine etwa vier Kilogramm schwere Engelstrophäe, die direkt auf der Schwelle der Tür liegt und eine zentimetertiefe Kerbe im harten Parkettboden hinterlassen hat.

„Da… Da haben wir jetzt aber ganz schön Glück gehabt.“, murmle ich benommen, als ich das milchkartongroße Gussstück in meine Hände nehme. Ich schaue nach oben. Weit nach oben. Der Balken hängt locker zweieinhalb Meter über der Erde. Wenn man von da etwas fallen lässt… Mit diesem Gewicht…

Minne formuliert mit weit aufgerissenen Augen meine Gedanken zu Ende: „Ja, Mama. Jetzt stell‘ Dir mal vor, die Bohne hätte da gesessen!“

Mein Herz klopft. Minne hat Recht: Genau das ist die Stelle, an der die Bohne für gewöhnlich minutenlang ausharrt und die mit Magneten angebrachten Fotos im Türrahmen verschiebt.

Oft sitzt sie auch einfach nur da und tut nichts, außer zwei Räume gleichzeitig im Blick zu behalten. Aber die Bohne ist vor wenigen Augenblicken zu mir in die Küche gekrabbelt. Ausnahmsweise. Denn sonst hängt sie grundsätzlich in Minnes Nähe rum. Immer. Eigentlich.

Vor meinem inneren Auge spielen sich blutige Szenen ab: dieses Ding, gleichwohl ein Engel – aus dieser Höhe – auf seinen Kopf? Ich muss unweigerlich an das Experiment der Wassermelone im Fahrradhelm denken, das so oft schon eindrucksvoll zeigte, wie zerbrechlich die eigene Birne ist.

Oder Minnes.

Oder die meines Mannes.

Oder meine.

Oder überhaupt.

Für jeden von uns hätte das äußerst, äußerst, äußerst schmerzhaft ausgehen können, der Tiefe der Einkerbung nach zu urteilen (ich meine: es ist wirklich ein harter Holzboden) vielleicht sogar noch viel, viel schlimmer. (Stichwort: Fontanelle.)

Zwei Sekunden eher durch die Tür gehen-
Zwei Meter weiter links stehen.

Irgendwas!

Nicht auszudenken.

Das Krankenhaus wäre uns sicher gewesen – wenn nicht gar mehr.
Minnes Hammergeklopfe versetzte den gesamten Balken in Schwingung und brachte schlussendlich die schwerste der dort oben aufgereihten Skulpturen zu Fall. Das hätte ich im Leben nicht kommen sehen. Ich war mir bis dahin sicher, nein: mehr als sicher, dass nichts und niemand irgendeinen dieser schweren Staubfänger von dort oben runterbekommen würde. Ich meine: genau deswegen standen sie ja da oben. Damit sie niemandem auf die Füße fallen, wisst Ihr?

Wenn ich überlege, was für ein saumäßiges Glück wir heute hatten, was das für ein perfektes Timing war, wie das hätte ausgehen können – Gott.

Ich weiß: das klingt für Außenstehende wahrscheinlich völlig übertrieben, vielleicht sogar etwas hysterisch – aber es hat mich wirklich den ganzen Tag über beschäftigt: wie viel passieren kann, wie viel sich verändern kann, von einer Sekunde auf die andere. Selbst aus Situationen heraus, die man keineswegs fahrlässig geschaffen hat, für die man vielleicht sogar gar nichts kann, und wenn, dann nur im Alleroberentferntesten.

Ich meine: niemand ist hier heute SMS-tippend Auto gefahren oder hat sich besoffen übers Balkongeländer gehängt. Und trotzdem war es einfach HAARSCHARF.

So bekommt der Ausspruch: „Unser Schutzengel hat heute einen hammermäßigen Job gemacht“ irgendwie eine ganz andere Bedeutung.

 

Am späten Nachmittag wollten wir außerdem allesamt noch mal mit den Fahrrädern los. Getrödel hier, Getrödel da, Ihr kennt das ja – und am Ende wurde es wieder viel später als geplant und just, als wir mit Helmen auf den Köpfen und Schuhen an den Füßen das Haus verlassen wollen, zog ein großes Gewitter auf, starker Regen prasselte gegen die Scheiben und innerhalb weniger Augenblicke verdunkelte sich der Himmel so sehr, dass nur noch einige Blitze ihn erhellten – begleitet von lautem Donnergrollen. Und ich dachte nur: Hah! Wieder so ein perfektes Timing! Dann also doch heiße Wanne und Pizzaservice. (Da kann zumindest niemandem etwas auf den Kopf fallen, nuschelnuschel.)

Ist mir eigentlich klar, was das bedeutet?

Ich will gerade gar nicht raus auf diese Diskussion von Schicksal oder Zufall oder Bestimmung oder Glaube. Interessiert mich alles nicht.

Aber ich will wissen: wann hattet Ihr Glück im Leben? Wann hattet Ihr solches wie wir heute? Wann hätte das Timing nicht besser sein können? Alles zählt, auch die grüne Welle auf dem Weg zum Vorstellungsgespräch oder… Ja, oder was? Macht mal ein bisschen Mut!

Hey Mädels, das Leben ist in Wahrheit voll von „Glück gehabt!“-Momenten, voll von glimpflich verlaufenden „Hätte, Wenn und Abers“ und voll von Schutzengelstorys! Leben is‘ schön. Im Kleinen wie im Großen.

Isso, gell? ♥️