Vorgestern, meine ich, widmete sich die ARD einen ganzen Abend lang dem Thema Sterbehilfe. Vorweg gab es wohl einen bewegenden Spielfilm, den ich allerdings nicht gesehen habe. Danach lief eine Dokumentation, nicht lange, vielleicht eine halbe Stunde. Und die hängt mir tatsächlich noch immer nach. Es ging darin um „Frau S.“, die sterben mochte und es am Ende mithilfe ihres Sohnes auch konnte.
Mit solchen Themen wie eben: Beihilfe zum Sterben habe ich mich bislang noch nie befassen müssen, dazu aber einen klaren Standpunkt, nämlich: ich finds gut und richtig. Und es geht mir partout nicht in den Kopf, weswegen dieses Vorgehen in Deutschland unter strafrechtlicher Verfolgung steht. (Nicht zu verwechseln mit Mord, is‘ klar.)

Ich meine: die wenigsten von uns werden irgendwann mal friedlich einschlafen und nicht mehr aufwachen. Das wäre ja quasi ein Traumtod, zumindest für den Sterbenden.

Wer also sollte dann den Zeitpunkt und auch die Art und Weise des eigenen Ablebens besser bestimmen können als man selbst? Und ist es nicht vielleicht sogar ein bisschen fairer, seiner Umwelt rechtzeitig Bescheid zu sagen, dass man gehen wird?

Im Falle von Frau S. – die nach eigener Aussage seit Jahren unter starken Schmerzen litt und ihr Erdendasein als reinste Tortur empfand – konnte ich den Entschluss jedenfalls nachempfinden, nicht zuletzt weil sie sich über die komplette Dauer dieser Dokumentation als unwahrscheinlich wach im Kopf präsentierte. Außerdem war sie sehr gefasst, ich bin fast geneigt, zu sagen: abgebrüht. Und das hat mich einerseits geängstigt, aber auf der anderen Seite rang es mir auch so etwas wie… Bewunderung ab.

Und dann – fast gleichzeitig – gibt es diese Schicksale wie das von Salvador Sobral, seines Zeichens 27-jähriger ESC-Gewinner, der mich optisch unglaublich an einen meiner Ex-Freunde erinnert. Und händeringend auf ein Spenderherz wartet, um weiterleben zu dürfen.

Haltet mich für bescheuert, aber ich aktualisiere einmal täglich mein Browserfenster, um zu sehen, ob es von ihm etwas Neues gibt.

Wie muss sich das anfühlen, zu wissen, nächste Woche Dienstag bin ich tot? Oder auch: damit rechnen zu müssen, dass man es sein wird, obwohl man gar nicht will?

Ruft man noch mal alle seine Freude an und sagt Tschüss? Auch pro forma?

Heute zum Beispiel zog ein mir entgegenkommendes Auto ein bisschen zu weit auf meine Spur. Das war freilich keine Nahtoderfahrung – Gott sei Dank nicht – aber für eine Millisekunde schoss mir durch den Kopf: was, wenn jetzt plötzlich alles vorbei wär‘?

Wer würde trauern?

Und würden auch diejenigen etwas Gutes über mich sagen können, die mir gegenüber im Hier und Jetzt eigentlich keine Sympathien hegen?

Was stand in der letzten SMS an meinen Mann? Wären „Bringst Du Brot mit?“ Worte, an die er sich voll Liebe und Sehnsucht erinnert? Die er immer und immer wieder durchlesen würde, in der Vorstellung, wie ich sie quicklebendig, aber eben zwischen Tür und Angel achtlos nebenher getippt habe? Würde er versuchen, darin einen tieferen Sinn zu sehen? Eine Vorahnung vielleicht, ein Zeichen?

Und würde man danach meinen Laptop aufklappen und durch Bruchstücke meines Lebens klicken und sich noch immer über von mir ausgegebenes Geld für Schminke ärgern? Oder eine Spende an den Tierschutz?

Und würde der Tierschutz meine 100,00 Euro effizienter einsetzen, wenn sie wüssten, es kam von einer Verstorbenen?

Ich bin gerne auf der Welt. Nicht zuletzt natürlich wegen meiner beiden Kinder, meinem Mann, meinem Papa und meiner Mama und allen, mit denen ich sonst noch so verbandelt bin. Ich mag mein Leben sehr und die allermeiste Zeit stehe ich auf und habe Bock auf den Tag. Ständig erlebe ich irgendwas, was ich ohne mein Leben nicht erleben würde. Und, na, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, aber: ich finde das irgendwie… cool.

Nüchtern betrachtet war ich irgendwann mal das schnellste Spermium – so wie Ihr alle, die Ihr hier gerade in der Lage seid mitzulesen. Also würde ich in meinem Optimismus behaupten, wir alle sind irgendwie Gewinner. Das heißt ja nicht, dass man jeden mögen muss – aber zusätzlich zum Gewinnersein haben wir auch noch das Glück, zu einer Zeit und in Breitengraden zu leben, in denen uns fast alles möglich ist. (Gerade als Frau.)

Und trotzdem kann ich mir vorstellen, dass irgendwann der Tag kommt, an dem man keine Lust mehr hat – wie eben Frau S. Da fänd‘ ich’s schön, wenn man Entscheidungen wie ihre respektieren würde. Muss man bei einem Suizid ja auch.

Ich verstehe übrigens kein Wort Spanisch oder Portugiesisch, aber „Amar pelos dois“ von Salvador Sobral geht mir derzeit durch Mark und Bein. Ich höre es im Bad, beim Autofahren und am Nachmittag mit den Jungs.

Bleibt zu hoffen, dass diejenigen, die leben möchten, eine Chance bekommen, weiterleben zu können.

Und auch, dass es Frau S. – von woher auch immer sie uns sieht, vielleicht – besser geht.

♥️