Mein Mann und ich haben uns neulich über die Darstellung von Kindern im Netz unterhalten.

Mir ist bewusst, dass dem einen oder anderen dieses polarisierende Thema inzwischen zum Hals raushängt, dass dazu jeder eine andere und einzig wahre Haltung vertritt und auch, dass die Art, wie wir das hier handhaben – bezogen auf die Anekdoten – durchaus genauso Platz für Kritik bietet. Hier und heute möchte ich Euch aber unsere Meinung zum Thema Kindergesichter im Netz aufzeigen.

Mein Mann hat während unseres Gesprächs nämlich einen Gedanken angestoßen, den ich gerne an Euch weitergeben möchte. Möglichst wertfrei, obwohl es mir zugegebenermaßen schwerfällt.

Ich meine, dass Bilder, die einmal im Netz landen, für immer und permanent verfügbar sein werden, dürfte inzwischen sogar beim letzten Fliesentischfreund angekommen sein. (Höh? Fliesentisch? Was hat das jetzt mit meinem Fliesentisch zu tun?)

Alle Bilder und Videos, die wir veröffentlichen, können von anderen Menschen eingesehen, gedownloadet, geteilt und zweckentfremdet werden.

Soweit – so schlecht. Denn trotz dieses Wissens überwiegt der subjektiver Stolz über den eigenen Nachwuchs. Und eine gewisse Unbekümmertheit überhöht die Argumente, die eigentlich gegen eine Veröffentlichung sprechen sollten: Zweckentfremdung und unkontrollierte Weiterverbreitung, persönlich verletzende Kritik und Hasskommentare unter dem Deckmantel der Anonymität – um nur ein paar davon zu nennen. Oder auch die alte, aber ernstzunehmende Leier mit den Pädophilen, die man damit bedienen könnte. Oder prinzipiell: Ob es dem Kind überhaupt recht gewesen wäre? Davon abgesehen weiß auch niemand von uns, welche Wirkung das gleiche Bild in zehn Jahren haben wird.

So lange wir selbst es sind, die sich dazu entscheiden, das Internet mit unserer Fratze zu tapezieren und irgendetwas dabei schiefgeht, zum Beispiel, wenn wir irgendwann in einen Kontext gestellt werden, der uns überhaupt nicht behagt, so lange haben wir uns das auch selbst zuzuschreiben. Jeder ist für sich selbst verantwortlich, richtig?

Nur: Online hats halt ein Dauergedächtnis, und in dem Moment, in dem ich ein Foto (meines Kindes) veröffentliche, gehört es schon nicht mehr mir: Es gehört jedem da draußen.

„Donuse my pictures without permission lese ich deswegen oft in den Kurzbiografien öffentlich zugänglicher Instagramaccounts. Oder auch ein von vorsorglich wütenden Emojis begleitetes: Bilderklau wird zur Anzeige gebracht!

Blassweiß
 geschwungene Wasserzeichen verstecken sich möglichst dezent am Bildschirmrand. Damit ist ja alles safe, gell? Aufatmen.

Aber Hand aufs Herz: Die Leute geben einen Fick auf „Don’t use my pictures without permission“. Denn das weltweite Betrachtungsrecht habe ich selbst erteilt, nämlich in dem Moment, in dem ich mich entschied, meine Brut einer anonymen Öffentlichkeit zu präsentieren.
Ob nun einmal oder regelmäßig spielt dabei gar keine Rolle. Könnte oder wollte die Polizei also ernsthaft etwas dagegen unternehmen, wenn Minnes Gesicht plötzlich in einem Artikel mit der Überschrift 16 Gründe, keine Kinder zu bekommen auftaucht?

Alle technischen Errungenschaften, die sich in den nächsten Jahren entwickeln – Technologien, an die wir noch gar nicht zu denken wagen – können auf diese Fotos angewandt werden. Deepfakes sind nur der Anfang.

So gesehen gefährden wir mit der Veröffentlichung dieser Bilder durchaus die ungewisse Zukunft unserer Kinder ungeachtet der Motivation, die uns ursprünglich antrieb.

Ich meine, sagen wir’s, wie‘s ist: Im Social Media Family-Universum bringen Kinder mit wenig Aufwand eine Menge Likes. Neugeborene am meisten, Babys je nach Inszenierung gut und reichlich. Nur bei den Großen muss man sich schon ein bisschen mehr anstrengen oder einen großäugigen Hundewelpen daneben setzen.

Wahr ist auch: Gesichter bringen mehr Likes als behaarte Hinterköpfe. Völlig egal, wie langweilig das ist, was drunter steht. Kindergesichter versprühen im Nu Zuversicht und gute Laune. Und deshalb ist es nachvollziehbar, dass viele Mütter diesen einfachen und erfolgversprechenden Weg gehen.

Jedes Herzchen fürs Kind ist ja irgendwie auch ein Lob an die Eltern habe ich dazu kürzlich gelesen. Und ja: Das ist so. Denn die Einzigen, die in dieser Angelegenheit kurzfristig als Gewinner hervorgehen, sind die Erziehungsberechtigten selbst: Sie werden mit Zuspruch und Komplimenten überhäuft. Für den einen oder anderen von uns vielleicht Dinge, die ihm im analogen Leben in dieser Häufigkeit oder Intensität eher verwehrt bleiben.

Man muss es nur mal aushalten, zwei, drei von den zigtausend austauschbaren Youtube- Family- Vlogs anzugucken, ohne dabei einzuschlafen. Follow me aroundUnsere MorgenroutineUnsere Abendroutine und all diese schon hundertmal kopierten Formate. Welche Farbe hatte nochmal der Seifenspender in Eurem Gäste- WC?

Und ruck- zuck weiß ich nicht nur, was auf der Verpackungsrückseite der Rossmann- Zahnbürste steht oder auf dem Hals des Schminkpinsels (danke fürs Vorlesen!). Ich weiß sehr bald auch sehr viel über die kleine Mara, die mit ihrem nur noch halb vorhandenen Milchzahngebiss arglos Plastiktüten vom H&M-Haul auspackt oder im aufblasbaren Plastikpool den neuen, glibberigen Badespaß von Simba ausprobiert.

Ich kenne auch ihren Nachnamen, ihren Wohnort, diverse Verwandtschaftsbeziehungen, Hobbys, den vergangenen sowie den aktuellen Gesundheitsstatus inklusive orthopädischer und linguistischer Befunde, den Kindergarten und den Namen der Schule.
Ich kenne den Grundriss ihres Elternhauses und Google Earth verrät mir auch noch den exakten Standort. Damit kenne ich auch ihren Vorgarten und ihre Nachbarn. Ja, sogar in die Schublade mit Unterwäsche habe ich schon einen Blick werfen dürfen: Disney, TK Maxx, Größe 98.

Noch verzwickter wird es, wenn die Kinder mit ihren Gesichtern zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. Wenn sie so durchkommerzialisiert werden, dass der neue Kleiderschrank im Kinderzimmer mit einem weltweit verfügbaren Blick ins Unterhosen- Schubfach bezahlt werden muss.

Versteht mich nicht falsch: Nach meinem Dafürhalten spricht überhaupt nichts dagegen, Fragmente des Lebens mit der Öffentlichkeit zu teilen. Und Kinder gehören zum Leben dazu – zumindest in den Feeds, in denen ich mich so bewege. Man kann das Leben nicht aussperren.

Außerdem – und das ist ja ein berechtigter Einwand der Befürworter: Wie sähe die Website von ZARA aus, gäbe es niemanden, der die Bikinis und Badehosen auch angezogen präsentiert? Womit würde der Indoorspielplatz im Nachbarkaff werben? Und die Schülerhilfe? Niemals- nie mehr irgendwo Kinder zeigen, das ist ja Käse. Das ist geradezu hanebüchen. Aber was wäre, wenn Eure Eltern Euer klassisches Familienalbum mit wunderschönen, aber wahrscheinlich auch kompromittierenden Schnappschüssen aus Eurem bisherigen Leben weltweit verfügbar machen würden?

Wirklich schwierig wird es nach meinem Dafürhalten daher dann, wenn die Veröffentlichung des Gesichts mit der Veröffentlichung privater Daten einhergeht. Denn die Preisgabe dieser Daten und das Zurückführen auf den Absender verleiht anderen Menschen Macht über diejenigen, deren Daten man kennt. Und damit wären wir wieder bei oben angesprochenem Punkt: Niemand kann absehen, was das mittel- und langfristig fürs Kind und dessen Zukunft bedeutet.

Und die 600 Facebookfreunde bestehen in den allermeisten Fällen aus 586 losen Bekanntschaften, Freunden von Freunden, neben denen man vor drei Jahren mal bei einem Cocktailabend auf der Couch saß, alte, nur so mittelmäßig sympathische Arbeitskollegen, ehemalige Klassenkameraden, alles sowas. Kurzum: Leute, die wir eigentlich genauso wenig kennen.

Kinder sind dankbare Vehikel, wenn es darum geht, eine vermeintlich risikolose Zurschaustellung in die Währung von Anerkennung und Zuspruch einzutauschen. Denn Kinder beleidigt man nicht. Kinder darf man nicht kritisieren, schon gar nicht aufgrund ihrer Optik.

„Ich hätte an Deiner Stelle ja lieber erstmal nur ein Füßchen gezeigt“ war das Niederschmetterndste, was ich jemals unter einem Neugeborenenfoto zu lesen bekam.
Innerlich pflichtete ich heimlich bei. Denn solange man nicht unter hormoneller Verblendung leidet – so, wie es glücklicherweise alle Mütter und Väter von kleinen Babys tun -, muss man kleinlaut eingestehen: Niemand von uns sieht wirklich gut aus, nachdem er 10 Monate lang in einem fensterlosen Raum in der Badewanne lag. Was will man da beschönigen?

Und man muss sich nur mal vergegenwärtigen, auf wie vielen Fotos unsere eigenen Eltern uns bildhübsch finden. Trotz zweier riesiger Schneidezähne, Segelohren oder etwas zu klein geratenen, eher mandelförmigen Augen. So sind wir oft mehr als dankbar, dass sie diese Bilder nie mit der Öffentlichkeit geteilt haben. Auch oder gerade weil ihnen damit sicherlich das eine oder andere Dis-Like verwehrt blieb.

Ich kann deshalb nicht abstreiten, dass ich nicht so etwas wie Erleichterung spürte in dem Moment, in dem ich realisierte, dass dieser Kommentar nicht meinem eigenen Kind galt. Ein negativer Kommentar beschäftigt uns mitunter länger als 20 positive. Leider.

Das, was wir zu befriedigen versuchen, in dem Moment, in dem wir unsere Kinder mit der Welt teilen, ist eigentlich wahrscheinlich das Bedürfnis nach Anerkennung für uns selbst.
Und für diese banale Erkenntnis muss man nicht mal Psychologie studiert haben.

Die Frage, die sich also zwangsläufig irgendwann aufdrängt, wäre: Wo enden Leichtfertigkeit, subjektiver Stolz, Geltungs- oder Bestätigungsdrang? Und wo beginnen Reife, Respekt und Verantwortung dem Kind gegenüber, das mir schutzbefohlen ist?
Ich fürchte, das ist ein schmaler, ein sehr schmaler Grat.

Natürlich tut es gut zu hören, dass unsere Kinder bestens geraten sind, wo wir doch schon so viele Problemzonen an uns selbst entdeckt haben. Und wir sind die Bestimmer, stimmts?

Wir bestimmen für unsere Kinder. So wie wir tausend andere Dinge ebenfalls für sie bestimmen: Ob sie getauft oder geimpft werden, ob sie Fleisch essen dürfen oder nur Pflanzen, ob sie homöopathische Augentropfen bekommen oder antibiotische. Wir bestimmen die Kleidung, den Kindergarten und bis zu einem gewissen Alter auch die Frisur und das Kassengestell bei Fielmann. Dinkelkekse und Apfelschnitze oder Pommes und SuperRTL. Oder auch Dinkelkekse und Pommes. Oder Apfelschnitze und SuperRTL. Groß werden sie alle.
Entscheidend ist, was bleibt.

Letztlich würde ich diesen Beitrag hier gerne abschließen mit etwas Versöhnlichem. Sowas wie: „Das muss doch jeder selber wissen“ oder „Wenn man nur die schönen Kinderfotos ins Netz stellt, dann ist das eigentlich gar nicht so schlimm.“

Aber das wäre gelogen. Ich bin anderer Meinung, und zwar so lange, bis ich auf Argumente treffe, die mich vom Gegenteil überzeugen.

Also werde ich diesen Artikel hier abschließen mit dem Gedanken, den mein Mann kürzlich in unserem Gespräch anstieß:

Drehen wir die Uhr im Kopf mal vierzig Jahre weiter und den Spieß um:
Was wäre, wenn die eigenen Kinder uns in den sozialen Medien porträtierten?

Was, wenn mich Minne dann für alle Welt sichtbar im hauseigenen Pflegezimmer oder im Altenheim zeigt? Wie ich beim Schlafen aussehe? Wie niedlich mir die Suppe vom Kinn tropft?
Wie ich aussehe, wenn ich krank bin? In allen erdenklichen, hilflosen Situationen.

Was, wenn er mich für YouTube- Vlogs frontal im nassen Schlüppi am Strand zur Schau stellt oder mein Gesicht zu seinem Titelbild bei Facebook macht? Und ich bin nicht in der Lage, ein Veto einzulegen, weil ich nämlich entweder nichts davon weiß – oder aber mir das Bewusstsein der Tragweite aufgrund von fortschreitender Demenz (ergo Unmündigkeit) fehlt.

Dieses Gedankenspiel hilft uns bei der Frage, was man (von seinen Kindern) nun veröffentlichen kann und was nicht.

Denn – und das kann man nicht oft genug sagen – niemand von uns weiß, wohin die Reise geht. Was davon im Jahre 2030 plötzlich Relevanz haben wird für potenzielle Arbeitgeber, für Versicherungsunternehmen, für Banken, Krankenkassen, Schulfreunde und zukünftige Lebenspartner unserer Kinder.

So. Und jetzt muss ich aufhören. Denn ich muss Minne (die in Wirklichkeit neun Jahre alt ist und Hania Navara Alexis heißt) sagen, dass sie One Direction leiser drehen soll. Um acht ist hier nämlich Schluss mit lustig. Morgen is‘ schließlich Schule. (;