Folgende, sehr persönliche Aufzeichnungen einer Geburt sind fünf Jahre alt und stammen von einer meiner engsten Freundinnen, deren katastrophale Entbindung ich bereits vor einigen Monaten im Anriss auf Instagram thematisierte.

Die Süddeutsche Zeitung schrieb 2018 zum Thema „Gewalt in der Geburtshilfe“ von einer „längst überfälligen Debatte“ – und dass fast 50% der entbindenden Frauen unter der Geburt Drohungen oder psychische Gewalt erleben.

Unten stehende Aufzeichnungen fassen mich an, sie beschreiben den Albtraum, den meine Freundin unter der Geburt ihres ersten Kindes erlebte.

Ich – und auch Ihr – sollten zu keinem Zeitpunkt an diesen und ähnlichen Worten zweifeln.

Wenn Ihr dazu einen Kommentar hinterlassen wollt, bitte gebt ihn mit Bedacht ab. Es geht nicht darum, zu beurteilen, wie wehleidig oder tapfer jemand bei der Entbindung war. Es geht auch nicht darum, sämtliche Krankenhäuser und Hebammen in unseren Breitengraden durch den Kakao zu ziehen.

Es gibt zahlreiche Geburten, die bilderbuchmäßig verlaufen.
Folgende gehörte leider nicht dazu.

Ich veröffentliche diese Zeilen mit dem Einverständnis meiner Freundin und hoffe, dadurch dazu beitragen zu können, das Tabuthema „Gewalt im Kreißsaal“ zu brechen und die längst überfällige Debatte erneut anzustoßen. Danke für Deinen Mut.

 

 

TRIGGERWARNUNG: Beschreibt gewaltsame Szenen.

 

Ich wache morgens mit Schmerzen auf, mein Bauch ist hart, leichte Wehen setzen ein. Es ist 7:29 Uhr. Ich dusche, packe die Kliniktasche fertig und versuche ein wenig zu frühstücken. Es ist 9:40 Uhr, ich kann kaum noch stehen. Ich bin nervös, aber die Vorfreude auf unseren Sohn überwiegt.

Wir fahren in die Klinik. Jede Bodenwelle tut weh, endlich erreichen wir den Elternparkplatz. Rein ins Gebäude, in den Aufzug, raus aus dem Aufzug. Wir klingeln am Kreißsaal. Das CTG ist gut, die Wehen zu leicht, ich soll später wiederkommen, es sei heute sehr voll.

Wir fahren nach Hause, es ist bereits 11:36 Uhr. Auf dem Heimweg beschließen wir uns Pizza zu holen, der Tag würde sicher lang werden. Während der Fahrt kann ich kaum noch atmen, so sehr zerreißt es mich. Die Schmerzen lassen sich nur noch mühsam veratmen. Wir drehen um, fahren zurück in die Klinik. Elternparkplatz, rein ins Gebäude, in den Aufzug, raus aus dem Aufzug, Kreißsaal. Es ist 12:27. Die Wehen sind so stark ich habe das Gefühl ich bekomme unseren Sohn noch auf dem Gang. Das CT schlägt stärker aus, der Muttermund ist bereits leicht geöffnet. Ich bin freudig aufgeregt. Die Hebamme kommt. Und schickt uns nach Hause. Es sei einfach zu voll heute. Bewegen könne ich mich auch woanders.

Sie ist harsch, ihr Ton ist rau und ihr Blick genervt. Ich fühle mich unwohl, will nicht gehen, ich will mein Kind bekommen und ich will Unterstützung dabei.

Wir gehen. Ich kann kaum noch laufen, muss alle paar Meter stehen bleiben, die starken Wehen veratmen.
Die Autofahrt ist der Horror. Ich habe das Gefühl mir zerreißt es den Unterleib. Jede Erschütterung tut so weh. Zuhause angekommen mühe ich mich ins Dachgeschoss.
Laufe durch die Wohnung, kreise das Becken, atme und atme und atme.

Wir gehen spazieren, ich quäle mich zurück nach Hause. Habe das Gefühl, keine 5 Minuten Pause mehr zu bekommen. Es ist 17:51. Wir fahren zurück in die Klinik. Der Weg erscheint endlos lang. Der Elternparkplatz ist belegt. Ich steige aus, mein Mann parkt entfernter, ich soll vorgehen. Ich kann kaum noch gehen. Passanten helfen mir ins Gebäude.

Die Wehen zerreißen mich förmlich. Rein ins Gebäude, in den Aufzug, raus aus dem Aufzug. Kreißsaal. Die Hebamme rollt die Augen. „Schon wieder…“ zischt sie. Ich fühle mich unwohl, wie ein ungebetener Gast. 18:45. Ich hänge am CTG. Die Wehen sind deutlich und stark. Ich werde stationär aufgenommen, darf gegen 19:30 auf ein Zweibettzimmer. Mein Mann darf nicht im Zimmer bleiben. Der Zimmernachbarin wegen.

Ich laufe über die Gänge, mit ihm. Treppe für Treppe, Gang für Gang. Was man so laufen nennt. Die Wehen gehen nahtlos ineinander über. Es gibt keine Pausen mehr, all das Geatme und all die tollen Tipps helfen mir nicht. Ich habe das Gefühl mein Rücken bricht entzwei. Die Gänge sind kalt, die Bilder an den Wänden lieblos. Ich fühle mich so unwohl. Die Wehen sind unerträglich. Eine Stationsschwester ruft den Kreißsaal an, wie sie eine Schwangere mit solchen Wehen auf´s Zimmer schicken könnten. Rein in den Aufzug, raus aus dem Aufzug. Kreißsaal.

Der Gang ist menschenleer, die Atmosphäre ist erdrückend, dunkel, gelbliches Licht und immer wieder Schreie.
„Sie schon wieder…“ tönt es mir entgegen. Es ist 21:23 Uhr.

Die Hebamme schließt mich ans CTG an. Ich möchte nicht ruhig liegen, ich kann nicht ruhig liegen. Ich will aufstehen, ich will raus hier. Die Schmerzen werden unerträglich. Mein Mann versucht die Hebamme zu finden. Jetzt sei Übergabe. Er solle gefälligst warten.

Ich kann nicht mehr warten, ich muss endlich aufstehen, das Liegen verschlimmert die Schmerzen nur noch mehr. Es kommt niemand. Es ist 22:19 Uhr. Die erste Welle Angst macht sich in mir breit. Aber die Vorfreude überwiegt. Eine Hebamme kommt. Eine stämmige Urbayerin. Ich solle mitkommen. Mein Mann solle auf dem Gang warten. Mir wird es unwohl. Ich will meinen Mann aber mitnehmen, entgegne ich. „Das will er sicher nicht sehen, kommen Sie.“

Ich muss schlucken. Mein Mann wartet, ich schleppe mich in den Nebenraum. „Hose runter und seitlich hinlegen“, herrscht sie mich an. Ich zögere. „Auf jetzt!“, raunt sie mich an.

Die Wehen nehmen mir meine Denkkraft, meinen Verstand. Ich kann nicht denken. Was passiert hier? Die Wehen übermannen mich. Ein fester Griff packt mich und versetzt mich auf die kalte Liege. Ich bekomme Panik, was passiert hier? Ich will das nicht. Ich sage, dass ich, was immer sie vorhabe, nicht will.
„Die Ärztin hat die Sauerei nicht gerne. Geht auch schnell..“

Der erste Einlauf meines Lebens und ich fühle mich entwürdigt… Tränen fallen auf meinen Bauch. Ich bekomme ein Hemdchen. Hinten offen. Die Tränen fallen weiter. „Hörense auf zu heulen, Kinner machen konntense ja auch ohne Probleme, oder?“ Mein Kopf ist dumpf. Wo ist mein Mann? Ich will zu meinem Mann. Ich soll in den Nebenraum, eine Wanne mit heißem Wasser steht bereit. Das würde gut tun. Ich steige in die Wanne, mein Mann kommt rein. Fragt, was los war. Ich kämpfe gegen die nächste Wehe an, antworte nicht. Die Wehen verstärken sich durch das Bad.

Der Raum stinkt nach Bergamotte Aromaöl. Mir wird übel. Ich will aus dieser Wanne raus. Mein Mann sitzt daneben und ist unruhig, kann nicht helfen. Keine Hebamme auffindbar. Mich zerreißt es. 23:48 Uhr. Sie kommt. Ich solle endlich aus der Wanne kommen und in den Kreißsaal gehen. Raum 3. Ich mühe mich in Raum 3. Das Licht flackert. Die Wände sind gelblich. Ich weine. Das ist kein Raum zum Wohlfühlen, kein Raum für ein schönes Ereignis. Das hier wirkt wie in einem Horrorfilm.

Es gibt keine Seile, keinen Sitzball, keinen Hocker, rein gar nichts. Außer einem Bett, dass am Fußende spreizbare Beinteile aufweist. Die Hebamme weist mich an, mich hinzulegen.
Ohne Vorankündigung rammt sie mir ihre Hand in die Vagina, ich schreie auf. Der Muttermund weite sich gut. Ich solle mich ausruhen.

Die Wehen sind zu stark, ich muss aufstehen, laufen. Ich kann nicht mehr liegen. Ich habe das Gefühl mit jeder Wehe reißt mein Unterleib in Stücke. Die Hebamme kommt zurück, schreit mich an. Ich solle liegen bleiben. Sie verkabelt mich. Sie kettet mich regelrecht an dieses Bett. Ich bekomme Buscopan intravenös verabreicht. Die Wehen sind so heftig, ich kann kaum noch atmen. Die Hebamme kommt zurück. „Schreien Sie hier mal nicht so rum. Denken Sie mal nicht, Sie seien die einzige Gebärende hier.“

Wieder fasst die Hebamme ungefragt in meinen Schritt, der Gebärmutterhals sei nicht weiter geworden. Die Schmerzen beim Tasten sind heftig. Ich schreie laut auf. „Himmel, jetzt heulen Sie nicht immer so rum!“ Die Hebamme rollt die Augen. „Sind Sie doch selbst schuld dran“.

Mein Mann ist Wasser holen und ich fühle mich einsam und alleine. Ich spüre nur noch Feindseligkeit auf dieser Station. Die Hebamme verschwindet wieder. Die Wehen sind nun so stark, dass ich im Liegen nur noch Schreien kann. Ich verliere jede Kontrolle. Die Schmerzen überrennen mich. Die Hebamme stürmt herein. „So, jetzt langt es aber! Ich hänge Ihnen etwas an, dann geht das hier mal voran.“

Ich frage was das sei, ich will nichts außer Schmerzmittel, sage ich. Ja ja, da kommt noch ein Arzt, ich hänge das mal an. Mein Mann kommt zurück. Ich flehe ihn an sofort mit mir hier zu verschwinden, ich kann hier nicht bleiben. Er versucht mich zu beruhigen. Hält meine Hand. Die Hebamme taucht auf, weist mich an in den Vierfüßlerstand zu gehen, auf dem Bett.
Ich fühle mich bloßgestellt.

Ich soll die Hüften kreisen. Ich tue nichts, die Wehen überrennen mich. Die Abstände sind so kurz, dass mir jedes Mal nur wenige Sekunden bleiben um überhaupt noch zu sprechen.
Die Hebamme packt mich am Arm, reißt an mir. Ich solle mich nicht so haben. Ob ich das Kind nicht wolle. Ich höre und sehe nichts mehr. Alles verschwimmt im Schmerz. In der Ohnmacht. In diesem Albtraum. Eine Helferin kommt und schiebt ein Bett in den Raum. Für meinen Mann. Der müsse sich auch ausruhen können. Ich kann nicht mehr denken. Mein Mann besorgt eine weitere Flasche Wasser. Ich kann nicht mehr atmen. Ich will hier nicht mehr sein, ich will gehen. Ich will sofort gehen. Ich steige vom Bett und will zur Tür gehen.

Die Hebamme stürmt herein, packt mich, schiebt mich zurück auf diese Liege. Die nächste Wehe rollt an, ich werde innerlich ohnmächtig vor Schmerz, sie lacht und legt mir ungefragt Globuli in den Mund. Sie hilft mir nicht, sie stützt mich nicht, sie lacht. Und geht. Ich kreise das Becken, ich versuche zu atmen, aber ich habe das Gefühl ich sterbe innerlich. Ich habe keine Chance.

Mein Mann kommt zurück, er bittet darum, den Arzt zu sprechen. Es kommt niemand. Erstmals fällt mir auf, dass unzählige Frauen wie abgestochen schreien. Der Kreißsaal ist voll. Diese Schreie klingen nicht freudig erwartend, sie klingen beängstigend. Meine Schreie mischen sich unter diesen Chor. Ich will sterben. Ich schreie nach einem Arzt. Flehe darum, mir das Kind aus dem Bauch zu schneiden. Die Hebamme kommt rein: „Jetzt ist aber Ruhe hier, ist das klar?!“

Ein Anästhesist kommt herein. Er schimpft, man habe ihn von seiner Station geholt. Warum sie einen externen Anästhesisten holen würden. Was ich wolle.

Ich verstehe nichts. Die Hebamme kommt, spricht mit dem Arzt. Ich kann nichts hören, muss schreien, mich zerreißt es.
Ich werde hier sterben, denke ich. Und mein Kind gleich mit. Mein Mann sagt, der Anästhesist biete eine PDA an. Das würde mir sicher helfen. Ich willige ein, verstehe aber sowieso nicht viel. Ich kann nicht mehr denken, ich kann keinen einzigen klaren Gedanken mehr fassen. Ich bekomme einen Wehenblocker. Das Mittel schlägt ein wie eine Bombe.

Mein Herz rast. Es springt fast aus meiner Brust. Ich kann kaum noch atmen, ich zittere. Der Anästhesist schreit mich an. Die Hebamme schreit mich an. Ich weine nur noch. Mein Mann ist hilflos. Hält mich. Der Anästhesist sticht einmal, daneben. Es tut so endlos weh. Keine Betäubung vorab. Er sticht ein zweites Mal. Daneben. Ich kann nicht mehr. Ich will hier raus. Mein Herz springt gleich aus der Brust. Es überschlägt sie fast. Der Anästhesist sticht ein drittes Mal. Er lasse das jetzt so. Ich will einen Kaiserschnitt. Er lacht. Wünsche seien für heute aus. Wer vögeln kann, kann auch pressen, sagte er.

Mein Mann wird laut, empört sich über diesen Satz. Der Anästhesist droht mit dem Sicherheitsdienst. Ich könne das auch ohne meinen Mann durchmachen, er solle besser still sein, dann geht er.

Ich muss zurück auf meine Liege. Ich zittere am ganzen Körper. Sie hängen einen Wehenantreiber an. Mein Herz verliert seinen Verstand. Es tut regelrecht weh in meiner Brust. Ich vergesse warum ich überhaupt in dieser Klinik bin. Ich spüre keine Freude mehr. Ich spüre Schmerz, allerdings verzerrt. Warum habe ich keine Kontrolle mehr über die linke Hälfte meines Unterleibs. Rechts zerreißen mich die Wehen. Mit PDA erscheint jede Wehe nun noch schlimmer. Die PDA wirke nur einseitig, das könne vorkommen. Der Anästhesist kommt zurück. Ich könne eben nicht alles haben. Einen Anästhesisten rund um die Uhr und eine 1a PDA nach Mitternacht.

 

„Ich will sofort einen Kaiserschnitt“, sage ich. Der Arzt lacht. „Das ist zu spät“, sagt er und geht. Mein Mann stürzt hinterher, bittet um einen Kaiserschnitt. Es sei kein OP frei und außerdem wären die Kindswerte sehr gut, es wird keinen Kaiserschnitt geben. Mein Mann ist verzweifelt. „Wir schaffen das“, sagt er. Aber ich merke, dass er selbst nicht weiß wie wir das schaffen sollen.

Eine Stunde liege ich mit meinem Mann an der Seite alleine im Kreißsaal, Raum 3. Ich übergebe mich ohne Unterlass. Ich will sterben. Niemand kommt, niemand sieht nach mir. Ich fühle mich einsam und alleine. Auch wenn mein Mann bei mir ist, diese Entstellung, dieses Gefühl der Bloßstellung, das trage nur ich.

Die Hebamme ist zurück, mit einer Gynäkologin. Sie stellt ungefragt meine Beine auf, steckt ihre Finger in meine Vagina und unerträgliche Schmerzen treten ein. Sie eröffnet die Fruchtblase. Ich fühle eine warme Flüssigkeit herablaufen. Ich fühle mich misshandelt. Niemand spricht mit mir. Als sei ich ein Mastschwein in der Massentierhaltung.

Es geht jetzt los, sagt die Ärztin. Ich sehe nur noch verschwommen, die Tränen sind zu stark. Mein Mann steht an meinem Kopf. Es ist fast vier Uhr. Ich will sterben, sage ich zu meinem Mann. Er sagt, unser Sohn kommt zur Welt. Ich sage, lass mich sterben. Er weint. Ich weine.

Die Ärztin rammt mir ihre Hand in die Vagina. Ich schreie. Mein Muttermund sei vollständig eröffnet. Sie fühle das Köpfchen. Ich weiß nicht einmal mehr, von wessen Köpfchen die Rede ist. Meine Psyche schaltet sich aus. Ich fühle mich dumpf und leer. Der Raum füllt sich plötzlich mit Menschen. Niemand spricht mit mir.

Verschiedene Personen stecken ihre Hände in meine Vagina. Es werden Beinschalen an der Liege anmontiert. Die Sitzfläche wird gekippt. Sie fahren einen Wagen mit Instrumenten hinein. Ich werde panisch. Mein Mann hält mich.
Ein kaltes Instrument wird in meine Vagina eingeführt. Ich schreie, der Schmerz ist unterträglich.

Die Presswehen setzen ein. Mein Mann wird angehalten, meinen Kopf zu halten. Ich solle pressen. Ich sterbe fast. Dieser Schmerz ist unaushaltbar. Plötzlich spüre ich einen unbekannten Schmerz. Sehe eine Schere. Die Ärztin hat ungefragt einen Dammschnitt durchgeführt.

Die Hebamme kommt neben mich. So wird das doch nichts, sagt sie. Die Ärztin lässt meinen Mann von meiner Seite nehmen. Er wird an den Rand gedrückt. Ich schreie, ich weine, ich will hier weg. Ich will das nicht. Ich schreie, sie sollen mich lassen. Ich will das nicht. Sie halten meine Arme fest. Niemand spricht mit mir.

Ein Handtuch wird unter mir hindurchgezogen. Ich rufe, was da passiert. Ich schreie die Helferinnen an, sie sollen mich loslassen, sie drücken meine Arme runter: „Sie haben es ja so gewollt“.

Die Hebamme kommt neben mich, ihr gegenüber ein junger Mann. Die nächste Wehe kommt. „Jetzt machen Sie mal richtig mit, das wird ja sonst nichts.“ Mein Kopf wird festgehalten, ich kann nicht anders als zu pressen, die Ärztin schreit „..jetzt!“ und mit einem Mal werfen sich zwei Menschen mit ihren Ellenbogen auf meinen Bauch. Ich schreie so laut, wie ich noch nie geschrien habe.

„Nein! Nein! Ihr tötet mein Kind“, schreie ich. Die Schmerzen in meinem Bauch sind das schlimmste, was ich bis dahin je gefühlt habe. Niemand spricht mit mir. Ich sehe meinen Mann nicht. Die nächste Wehe kommt. Es passiert wieder, ich kann nicht atmen, habe das Gefühl, sie drücken die Luft aus mir heraus.

Ich höre nur, so viel Blut, das ist zu viel Blut. Ich kann nicht mehr sehen, alles ist schwammig und unscharf. Noch eine Wehe, ich höre wie die Ärztin nach der Schere verlangt. Ich spüre nichts, außer dem scharfen Schmerz überall in mir. Als würden meine Organe zerbersten.

„Mein Kind!“, schreie ich, ich will weg.
„Hätten Sie mal einen ordentlichen Vorbereitungskurs gemacht, dann hätten wir das Dilemma jetzt nicht, immer das Gleiche…“

Viele Hände halten mich gewaltsam fest. Niemand spricht mit mir. Mein Mann drängt zu mir, schreit einen Pfleger an. Er versucht ihn wegzudrücken. Er stößt ihn weg, kommt an meinem Kopf, hält mich, er weint. Die nächste Wehe kommt. Ich bin machtlos. Ich bin innerlich tot. Mein Kind wird sterben, sie werden ihn töten, denke ich. In mir herrscht Leere.

Ich lasse alles über mich ergehen. Ich wehre mich nicht mehr. Ich habe innerlich aufgegeben. Meine Psyche klinkt sich aus. Ich verlasse das Geschehen. So muss sich Dissoziation anfühlen. Wenn ich hierbei sterbe, denke ich, dann sterbe ich eben hier. Ich will nicht mehr. Ich will sterben. Ich ertrage diese Folter nicht mehr. Die nächste Wehe kommt, es ist 4:23 Uhr. Ich höre, wie mein Mann sagt „Er ist da!“, aber ich fühle nichts mehr.

„Oh Gott, so viel Blut“ höre ich ihn sagen. Die Schwestern scheinen alarmiert. „Zu viel Blut!“ ruft eine der Anwesenden. Ich spüre fremde Hände in meiner Vagina. Ich drifte weg. Ich muss. Ich fühle mich wie vergewaltigt.

Mir wird ein Bündel auf die Brust gelegt. Er ist schmierig, er stinkt, er schreit, ich bin innerlich tot. Ich weine still. Ich streichle ihn, er wurde auch gequält, denke ich. Ich will mich aufrichten, ihn richtig halten. Sie nehmen ihn mir weg.

Mein Mann weint. Er geht hinterher. Ich werde zurück auf die Liege gedrückt. „Dann flicke ich Sie mal wieder zusammen, bisschen enger ist ok, oder?“

Ich verstehe nichts. Ich verstehe rein gar nichts.

Mir ist übel. Ich muss mich übergeben. Wo sind mein Mann und mein Sohn? Ich will zu ihnen. Ich sehe eine Nadel so groß wie ein Fleischerhaken. „Was ist das?!“, höre ich mich sagen, da rammt die Ärztin bereits die Nadel in meinen Körper, ohne Betäubung. „Schreien Sie mal nicht so rum, stillhalten! Sonst wird das gar nichts mehr da unten. Naja, wie ich das wieder flicken soll…“ Sie näht und näht und ich drifte wieder weg. Mein Mann kommt mit unserem Sohn im Arm zurück. Er sieht mich an und weint „…das wird wieder..“ sagt er.
Was wird wieder, denke ich.

Das Bett im Raum wird an die Liege geschoben. „Rüberklettern“, raunt sie mich an. Ich kann mich kaum bewegen. Meine Leiste tut so endlos weh, ich kann mein Bein kaum bewegen. Sie zerrt mich hinüber. Der Boden ist voller Blut. Ich lege mich hin. Bekomme meinen Sohn in den Arm. Plötzlich wird mir unwohl. „Nimm ihn!“ Ich drücke unseren Sohn meinem Mann in den Arm. In meinen Ohren beginnt es laut zu piepen. „Hilfe!“, rufe ich. Die Ärztin stürmt auf mich zu und es wird dunkel.

 

Als ich erwache übergebe ich mich im Strahl. Wieder und wieder. Um mich herum lauter Leute in Kitteln. „Da ist sie!“ ruft einer. Meine Brust ist nackt, ich bin voll verkabelt. Überall Schläuche. Ich suche meinen Mann, sehe ihn in der Ecke des Raumes, mit unserem Sohn im Arm. Er wiegt ihn und murmelt „Mama wird es gut gehen..Mama wird es wieder gut gehen..“
Er weint.

Ich frage was los sei. 20 Minuten sei ich bewusstlos gewesen. Zu viel Blut verloren. Konserven hängen an einem Ständer. Mein Mann weint, steht neben mir, er weint wie nie zuvor.
Sie bringen uns auf ein Stationszimmer. „Mach ein Einzelzimmer..“, sagt die Hebamme zur Stationsschwester, „..das kann sich ja keiner angucken.“

Was nicht angucken, frage ich mich. Aber ich bin zu schwach, um zu diskutieren. Ich habe schreckliche Schmerzen. Mein Bein tut so endlos weh. Wieso tut mir mein Bein so weh?!

Im Zimmer bricht mein Mann weinend an meinem Bett zusammen. Er dachte, ich sterbe. Er wirkt traumatisiert. Er ruft meine Mutter an, sie komme sofort.

Ich realisiere kaum, dass ich Mutter geworden bin. Das kleine Bündel schläft und ich halte ihn fest bei mir. Aber ich bin nicht richtig da.

Eine Stillschwester stürzt herein. „Hallo! So, jetzt legen wir den Kleinen mal an, ja?“ ich habe keine Kraft. Keine Kraft, ihn an meine Brust zu legen. Ich bin wie in Trance. Was ist hier passiert? Ich verstehe nicht, wie das hier alles passieren konnte.

Ich fühle mich vergewaltigt. Entwürdigt. Geschändet. Nackt. Ausgeliefert. Gefoltert. Ich schäme mich.

Mein Mann gibt ihm ein Fläschchen. Ich solle schlafen. Aber ich kann nicht schlafen. Die Schmerzen in meinem Bein und meiner Leiste sind unterträglich. „Ja ja, das war eine harte Nacht, was? Das geht vorüber“, sagt die Stationsschwester und geht wieder.

Meine Mutter kommt. Als sie die Tür hereinkommt und mich sieht, bricht sie in Tränen aus. Keine Freudentränen, wie ich sie erwartet hatte. Was sie mit mir gemacht hätten, fragt sie.

Mein Mann fährt kurz nach Hause, er wird später sagen, dass er nicht schlafen konnte. Wie ein Kriegseinsatz habe sich die Nacht in sein Hirn gebrannt.

Meine Mutter betrachtet meinen Rücken, als ich ihr sage, dass mein Bein so weh tut. Der PDA-Zugang steckt noch immer. Sie holt eine Schwester. Sie sagt: „Der Zugang hätte längst raus gesollt…“, und er wird entfernt. Mit einem Mal verschwindet dieser schreckliche Schmerz aus meinem Bein. Aber meine Leiste ist noch immer unverändert. Wochen später wird sich herausstellen, dass ich eine Symphysenruptur habe.

Das Stillen klappt nicht, die Flasche nimmt unser Sohn dankend an. Ich komme emotional nicht an. Was ist nur mit mir? Ich müsste glücklich sein. Stattdessen kann ich nicht aufhören zu weinen.

Die Schwester kommt rein, ich solle aufstehen, auf Toilette gehen. Ich sage, mir ist nicht wohl. Sie packt meinen Arm, zieht mich aus dem Bett. Ich kollabiere, alles wird schwarz. Ich wache auf, verkabelt, neue Infusionen, neue Bluttransfusionen.

Ich solle die Bettpfanne nehmen. Ich will keine Bettpfanne, sage ich. „Einen Katheter legen wir nicht, wo sind wir denn hier? Ist das ein All-Inclusive-Hotel, oder was? Bettpfanne oder Toilettenstuhl.“ Sie geht.

Mein Mann ist wieder da. Er sagt, er helfe mir. Ich will im Boden verschwinden. Ich fühle mich gefoltert, entwürdigt. Ich halte ein. Komme was wolle, die Blöße will ich mir nicht geben. Die Nacht war genug.

Das Stillen klappt nicht, aber der Kleine ist zufrieden, er kuschelt viel auf mir und schläft gut. Ich kann nicht schlafen. Mich quälen die Bilder der Nacht, ich bin ohne Pause in Alarmbereitschaft. Ich bekomme schwere Migräne. Sie verwehren mir meine Migränemittel, wegen des Stillens.

Ich kotze stundenlang, kann nichts essen. Kann nicht stillen, es kommt auch keine Milch. Meine Mutter bringt mir meine Tabletten, ich nehme sie einfach. Die Brust kann ich ihm sowieso nicht geben.

Am Nachmittag muss ich nun doch dringend die Toilette aufsuchen. Die Bettpfanne ist keine Option, sage ich. Ich versuche aufzustehen. Ich kollabiere wieder, alles wird schwarz. Ich wache auf, verkabelt, neue Infusionen. Eine wütende Ärztin und eine Bettpfanne.

Ich uriniere in die Bettpfanne, aber treffe nicht richtig. Das Bett ist nass, ich bin nass. Ich weine. Mein Mann tröstet mich. Alles nicht so schlimm, sagt er. Wieder eine wütende Schwester. Eine harte Nacht. Ich habe noch immer nicht geschlafen.

Nächster Morgen, ich bin 48 Stunden wach. Morgenvisite, raus aus dem Bett. Ich kann kaum gehen, meine Leiste tut so weh. Ich schleppe mich zum Spiegel. Und weine still. In meinem Gesicht und Oberkörper sind alle kleinen Äderchen geplatzt. Dunkelblaue Fleckchen durchziehen meine Haut. Meine Augen sind bis über die Iris mit Blut gefüllt. Die Adern in meinen Augen sind geplatzt. Mein Mann sagt, der „Pegel“ steige. Zur Entlassung wird das Weiß meiner Augen dem Blut gewichen sein. Niemand wird mich die nächsten Wochen länger ansehen. Ich erschrecke die Leute.

Wenige Stunden nach der Geburt.

Meine Mutter ist da, mein Mann begleitet mich über den Gang zur Gemeinschaftsdusche. Heruntergekommen, kalt und dreckig ist es darin. Ich fühle mich wie im Gefängnis. Ich kann mich kaum auf den Beinen halten. Meine Atmung ist angestrengt, mein Körper hat zu viel Blut verloren, ich bekomme später weitere Transfusionen, dann wird es besser.

Ich dusche und fühle mich tot. Innerlich gestorben. Ich dusche ewig. Will das Gefühl wegduschen. Blute vor meinem Mann weiter aus. Ich schäme mich, aber er muss mich halten. Alleine kann ich nicht stehen. Ich fühle mich entwürdigt, geschändet, vergewaltigt und zur Schau gestellt. Ich habe meine gesamte Würde verloren, denke ich. Die Bilder der Nacht haben sich in meine Seele gebrannt.

Ich weine still. Wie bereits die letzten 24 Stunden.

Ich werde noch viele Wochen weinen, um danach zu verdrängen.