Als ich ungefähr 20 Jahre alt war, da habe ich mal in einer Diskothek gearbeitet.

Also, “gearbeitet“ ist vielleicht etwas zu blümerant formuliert. Eher: gelitten.

Ich muss vorwegschicken, dass ich noch nie der Typ Partymaus war, gleichwohl mein Umfeld mich aber grundsätzlich und schon immer dafür hielt. In Wirklichkeit vertrage ich aber nicht mehr als zwei alkoholhaltige Cocktails hintereinander und ziehe einen Abend auf der Couch – im Schlafanzug und mit Knödel auf dem Kopf – jedem Discobesuch vor. Und das nicht erst, seitdem ich Kinder habe.

Ich fühlte mich damals völlig fehl am Platz und tue es auch heute noch. Das ist einfach nicht meine Welt.

Aber ich befand mich mitten in meinem Studium und wollte mir etwas dazuverdienen und als diese Discothek Aushilfen suchte, da war ich natürlich ein dankbarer Interessent.

Mein Arbeitsverhältnis hielt etwa 89,00 Euro lang an, dann haben wir uns „in gegenseitigem Einvernehmen“ voneinander getrennt.

Und so kommt es jedenfalls, dass ich mich an einem Freitag- oder Samstagabend hinter der Theke einer Großraumdisco wiederfinde, im Geiste jeden Usher-Song mitsingen kann („Yeah, yeah, yeah-yeah!“) und mein Blick unsicher durch eine immer voller werdende Halle schweift.

Es ist meine erste Schicht.
Ich bin halbwegs ausgeschlafen und sehe unter dem Kunstlicht auch vergleichsweise gut geschminkt aus, glaube ich. Das meiste Geld macht man ja mit dem Trinkgeld, habe ich mir sagen lassen.

Ein schon deutlich angetrunkener, maximal volljähriger Junge mit Flaum über der Oberlippe reißt mich gegen halb elf aus meiner Lethargie: „Eeeeh, mach’ mir ma Vodka Redbull, ja? Aber mach’ ma mehr Vodka als Bull, ok?“

PAH! Wie bitte? Ich glaub‘, es klingelt! Er muss deutlich jünger sein als ich und der Betreiber der Disco ist auch nicht in Sichtweite, also ziehe eine Augenbraue hoch und erinnere ihn an seine gute Kinderstube: „Was sagt man?“

Er presst voller Widerwillen die Lippen aufeinander, sein Blick sucht nach seinen Freunden oder dem Türsteher – ich bin mir nicht sicher – als er raunt: „Mach’ ma bitte, ok? Aber schnell!“

Während die Sirupplörre so aus dem Zapfhahn tröpfelt, denke ich nach:

Wo kommt er wohl her?
Wie sieht sein Kinderzimmer aus?
Hatte er schon mal Sex?

Ich habe es nicht eilig. Die Nacht wird lang, leider.
Ich schiebe ihm gemächlich einen überlaufenden, trüben Humpen rüber als neben ihm zwei zierliche Mädchen auftauchen. Beide nicht älter als er und ganz offensichtlich ohne fundamentierte Kenntnisse in Sachen flüssiger Eyeliner.

Sie halten sich an den Händen fest und eine piepst leise: „Ain Säkt.“
„Wie bitte?“, rufe ich über Usher hinweg. „Du musst lauter sprechen, ich verstehe Dich nicht!“
„Ain Säkt“ wiederholt sie schüchtern.
Und ihre Freundin ergänzt: „Für mich auch ain Säkt.“

Als sie mir ihre Kärtchen zum Abrechnen rüberreichen, fällt mein Blick auf ihre Fingernägel, die abwechselnd hellrosa und türkis lackiert sind. Keine Ahnung, wer die reingelassen hat.

Nummer 1 wird ein Euro für ain Säkt auf 1 Karte abgebucht.
Nummer 2 ebenfalls.

Ich notiere: zwei Euro Umsatz, null Euro Trinkgeld.
Klar, wie auch? Hier versaufen scheinbar Teenies den Rest ihres Taschengeldes, mehr nicht.

Keine 10 Minuten später stehen beide wieder an meiner Theke: „Ain Säkt.“ – „Und für mich auch ain Säkt.“

Von hinten höre ich es grölen. Ich schaue von meiner Zapfstation auf und suche die Audioquelle: der Halbstarke mit dem Vodka-Redbull vom Anfang hängt lallend über dem Stehtisch; mit seinen nicht ganz günstig aussehenden Turnschuhen steht er auf seiner mit Glitzersteinen verzierten Käppi, die wiederum auf dem klebrigen Fußboden liegt.

Das Stöhnen und Ächzen wandelt sich irgendwann zu einem: „Eeehhh, Jenny, bring mir ma Vodka Redbull mit, ja! Aber sag’ ma, die soll mehr Vodka als Bull reinmachen, ok?“

Jenny aka Ain Säkt nimmt ihre Freundin Für Mich Auch Ain Säkt an die Hand und beide kommen kichernd und wippend zu meinem Tresen getorkelt. Jetzt haben sie sich genug Mut angetrunken, um ihre Bestellung lauter und deutlicher aufzugeben.

Und ich bin mir nicht sicher, wie ich reagieren soll. Kein Türsteher weit und breit und ich meine, auch wenn sie nicht so aussehen: vielleicht sind sie ja doch schon volljährig? Also, wirklich volljährig?

Plötzlich gibt es einen großen Rumms.

Mister Mehr Vodka Als Bull ist nach vorne umgefallen und mit dem Kopf auf die Tischplatte aus Massivholz geknallt. Die Mädels Ain Säkt und Für Mich Auch Ain Säkt sind in heller Aufregung und springen hibbelig von einem Bein auf das andere, fast so, als müssten sie auf Toilette.

  • Zwei der Cliquenmitglieder drücken sich durch die Masse an Menschen um Hilfe zu holen.
  • Einer bleibt derweil beim Verletzten und zückt das Handy um Beweisfotos zu machen.
  • Ein anderer kann sich selbst kaum auf den Beinen halten und schaut glasig in die Ferne.

Eine halbe Stunde später ist der Spuk vorbei: der Krankenwagen kommt, die Party ist gelaufen.

Am Ende meiner Schicht – es ist ungefähr halb sechs am Morgen – beschließe ich, es dabei zu belassen. Vielleicht ist ein Job an der Tanke was für mich. Oder im Rewe, Regale einräumen.

Aber mein Abend auf der Couch – im Schlafanzug und mit Knödel auf dem Kopf – ist einfach unbezahlbar.