„Kannst Du glauben, dass dieser Junge hier in vier Wochen schon 8 Jahre alt wird?“ 

– Ja, das kann ich sogar sehr gut glauben. Denn ich weiß, was ich die letzten acht Jahre über geleistet habe:

Zuerst habe ich im heißesten Sommer überhaupt meinen wassergefüllten, „Alter, woher kommen plötzlich diese 20 Kilogramm mehr her?“-Körper durch die Innenstadt geschoben, während mein Mann hinter mir lief und meinen Gang mit Quakgeräuschen intonierte. Ich hab in meinem ganzen Leben noch nie so geschwitzt wie zu dieser Zeit. Sogar am Rücken, in den Kniekehlen und unter der Brust – dabei hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich nie eine. 

Mir war schon klar, dass da ein Baby in meinem Bauch ist. Ich hab’s ja gespürt. Aber – so richtig glauben konnten wir es alle erst, als wir ihn im Arm hielten.

Und dann war er da und sah so ganz anders aus, als ich ihn mir immer vorgestellt hatte: glatzköpfig, mit schmalen Lippen und klitzekleinen Augen. Nicht wirklich schön. Eher wie eine sehr alte, sehr kleine Vogelart, die nach einem Sturm aus dem Nest gefallen war. „Der wird schon noch!“, hat meine Mama damals aufmunternd geflüstert. Nur gut, dass die Hormone alles andere regeln.

Aber – da wusste ich ja noch nicht, dass ich für die nächsten drei Jahre nicht mehr werde durchschlafen können. Hah. Haha!

Die Haarbürste, die ich während der Schwangerschaft für ihn gekauft hatte, konnte ich ohne Probleme als „neu und unbenutzt“ bei eBay vertickern.

Nächtelang saß ich auf dem Badezimmerboden und habe Milch abgepumpt, und als sich diese Ära dem Ende neigte, schloss sich daran quasi fließend das unfreiwillige Familienbett an. Fuß im Gesicht, Bauch auf meinem Kissen, Patrick Starfish in der Gästeritze: Hallowach!

Ich möchte behaupten, Minne war nicht unbedingt ein Anfängerbaby – aber vielleicht waren wir auch einfach nur zu ein bisschen zu verwöhnt. Das lässt sich im Nachhinein schwer sagen, zumal – und inzwischen verstehe ich deswegen auch meine eigenen Eltern – enorm viele Erinnerungen an die allererste Babyzeit ganz allmählich verblassen und teilweise auch von den etwas frischeren Erinnerungen aus Bohnens Babyeit überdeckt werden.

… Und Oma hatte Recht: Der wurde noch! <3

… wurde er wirklich.

Jedenfalls: Und kaum war er da, eröffnete sich mir auch ein ganzer Katalog von Fragen, mit denen ich mir zuvor noch niemals beschäftigen musste.
Sowas wie:

Ah, und so sieht also eine Pastinake aus?

Ist dieser Gesichtsausdruck beim ersten Löffelchen Brei normal?

Ab wann wird er meine Kraftausdrücke registrieren und nachsprechen?

Ist dieser Kindergarten wirklich eine gute Idee? (Und könnte ich die Kraftausdrücke im Zweifel auch auf den Kindergarten schieben?)

Wann kann ich endlich diese sperrige Wanne gegen den fancy Sportaufsatz austauschen?

Wann kann ich endlich diesen sperrigen Sportaufsatz gegen ein ohne zu murren laufendes Kind austauschen?

Wie viele Backenzähne noch?

Zwei Zähne, die stellvertretend für viele schlaflose Nächte stehen.

Und später dann:

Woher kommen die Tictacs in der Waschmaschine?

Was sind das für Ränder unter den Nägeln?

Sind das Läuse oder nur Sandkörner?

Meine Güte, woher soll ich wissen, wie die Löcher in den Käse kamen oder wann die Ägypter die Pyramiden gebaut haben oder  warum man es Fundament nennt und nicht Hausanfang? Frag doch mal was anderes. Oder – vielleicht auch mal gar nichts.

Aufahmezustand bei der Antwort auf Frage 372938203.


Ich habe unzählige Klamotten in unzähligen Größen über bislang 32 verschiedene Jahreszeiten eingeräumt, gewaschen, aufgehängt und wieder aussortiert. Ich habe unzählige Male kleine Stinkefüße ausgemessen und Schuhe und Bücher gekauft. Von der Holzklopfbank über die Parkgarage bis hin zum Puppenbuggy und dem Kristalle-selber-züchten-Paket gab es kaum einen Wunsch, der unerhört blieb.

Ich habe unzählige abgebrochene Buntstifte wieder angespitzt, Brotdosen zubereitet, Feste zu seinen Ehren ausgerichtet, Pflaster geklebt, Girlanden aufgehängt, getröstet und mich mitgefreut. Ich bin mitgerannt, habe mitgelacht und mitgemacht. 

Wir sind zusammen geschlendert, als er schlendern konnte, haben uns in Pfützen gesetzt, wenn es regnete, sind im Schneckentempo hunderte Treppenstufen „alleine“ hochgelaufen.

Ich habe ihn getragen, bis mir fast der Arm abfiel – und jedes Mal darauf gehofft, dass ihn mein knacksendes Knie nicht aufweckt, wenn ich mich abends aus dem Zimmer schleiche.

Ich bin gerannt und gesprintet, als er mit dem Laufrad unterwegs war. Und ich habe mich gefürchtet und gebibbert, als er Fahrrad fahren konnte, als er Schwimmen lernte, als er das erste Mal alleine Brötchen holte.

Und ist es nicht verrückt, dass man währenddessen denkt, mei, ist der groß geworden! – aber sich im Rückblick fragt, wie er mal so klein gewesen sein kann?


Es verging in all den acht Jahren nicht ein einziger Tag, an dem Minne nicht präsent war in meinem Leben und in meinem Geist. Und doch, man kann schon sagen: Mein Sohn stellt mich täglich infrage. 

Inzwischen, glaube ich, ist das Gröbste geschafft. Erstmal. Acht Jahre ist ein wirklich verdammt gutes Alter. Ein sehr dankbares noch dazu. Vielleicht auch ein kleiner Ausgleich zu den ersten eins, zwei, drei, vier Jahren, die ich als deutlich undankbarer empfand. (Gleichwohl es NATÜRLICH auch in dieser Zeit unfassbar viele sehr, sehr großartige Moment gab. Goes without saying, hoffe ich.)

Fast 8. And counting. <3

Mit acht Jahren ist man jedenfalls wieder weit genug weg von Trotzanfällen und Wenn-ich-es-anlecke-gehört-es-wohl-mir, aber auch noch weit genug entfernt von der Pubertät und diesem „Oh, Shit, meine Eltern sind so uncool.“-Alter.

Mit 8 Jahren schläft man für gewöhnlich alleine ein und alleine durch, kann sich selbstständig anziehen, muss nicht mehr rufen, wenn man auf dem Klo sitzt oder aus der Wanne steigen mag, hat keine Zahnungsschmerzen mehr, guckt nach links und rechts (und noch mal links), wenn man die Straße überquert, kann schon ein bisschen lesen („Wieso steht da Nut-ten auf dem Pfefferstreuer, Mama?“), unterscheidet zwischen Gut und Böse, kann auch mal verlieren, ohne gleich auszurasten, weiß um die Bedeutung eines Versprechens, hat erste, eigene Geheimnisse und entwickelt sich vom Kind zum Freund.

Hat seinen eigenen Kopf. Glücklicherweise.

Acht tolle Jahre, die nicht nur diese ehemals glatzköpfige Bowlingkugel haben wachsen und gedeihen und zu einem selbstständigen, selbstdenkenden und wirklich lustigen Menschen haben werden lassen. Auch wir als Eltern sind daran gewachsen und garantiert auch um mindestens acht Jahre gealtert. Ha. Hahahaha….

Und ja, die letzten acht Jahre hatten es in sich. Mal mehr, mal weniger intensiv. Aber:

Es hat sich gelohnt. Es hat sich sowas von gelohnt. Jeder sollte einen Achtjährigen daheim haben! <3